Die weissen Feuer von Hongkong
gab, jede Erscheinung im Leben auf ihre Ursache zu untersuchen. Man konnte sich bei ihm Geld borgen oder Bücher. Man konnte Verständnis bei ihm finden, wenn einem zu Haus die Frau mit einem anderen durchgebrannt war, und man konnte sich nach einer Penicillin-Injektion Trost bei ihm holen, wenngleich der Trost mit einer Abreibung verbunden war, die man so leicht nicht wieder vergaß. Josef Koslowski war beliebt, weil es kaum eine Klemme gab, aus der er einem nicht heraushalf. Er hatte einmal Frau und Kinder gehabt, heute war er allein. Als er das erste Mal mit einem Dutzend Matrosen in Rostock an Land ging, hatte er ihnen eingeschärft: »Jungens, gebt euch Mühe, die Leute kennenzulernen. Streitet euch nicht. Streit werden wir noch genug kriegen, wenn wir nach Hamburg kommen.«
Er ging bis zur nächsten Rikscha und ließ sich in die Nähe des Docks fahren. Er überlegte. Dieser Deutsche hatte ihm nicht alles gesagt, was ihn bedrückte. Josef Koslowski hatte ein feines Gefühl für solche Dinge. Was war mit dem großen, blonden Flieger los? Warum hatte er den Eindruck gemacht, als sei ihm alles um ihn herum gleichgültig? War es nur der Umstand gewesen, daß er nicht nach Hause zurückkehren konnte, weil sie ihn staatenlos gemacht hatten?
Von Kai Tak her donnerte eine Maschine heran, die in Richtung Manila flog. So ist diese Welt beschaffen, dachte Koslowski. Man sieht so einen metallenen Riesenvogel, und man vergißt oft, daß ein Mensch ihn führt und daß dieser Mensch ein kompliziertes Wesen mit Gedanken und Sehnsüchten ist, mit Empfindungen, die ihn fröhlich machen oder quälen, mit Sorgen und Problemen, lösbaren und unlösbaren.
Er grübelte noch eine Weile über den Deutschen nach, dann begannen ihn seine eigenen Aufgaben zu beschäftigen. Hin und wieder erinnerte er sich an den seltsamen Gesprächspartner, und er bedauerte, dass er nicht länger hatte mit ihm sprechen können.
*
Im Hotel »Mandarin«, einem der größten Restaurants von Taipeh, herrschte der übliche Abendbetrieb. Taipeh, bis vor einigen Jahren eine ziemlich verlotterte Provinzstadt, war in kurzer Zeit zur Metropole des Schlupfwinkels Taiwan geworden und hatte sich - gestützt auf freizügige Investitionen amerikanischer Geldleute - den Anstrich einer Weltstadt zu geben versucht.
Nachdem Tschiang Kai-schek und die Reste seiner Armee vom chinesischen Festland vertrieben worden waren, hatten sie sich hier eingenistet und eine Art Separatstaat gegründet, eine zweifelhafte Mischung von feudal-chinesischer Militärbürokratie und amerikanischem Lebensstil. Neben dem Gewirr der baufälligen Holzhäuser ragten Hochbauten in den meist klarblauen Himmel. Die engen Straßen der Innenstadt waren hoffnungslos verstopft von Autos amerikanischer Herkunft. In den Läden herrschten die Massenprodukte der Vereinigten Staaten vor, die hier einen aufnahmebereiten Markt gefunden hatten. Daneben blühte der Schmuggel, den die Soldaten und ‚ Offiziere der US Army trieben. Die Sergeanten verhökerten Zigaretten und Whisky auf den Basaren, um sich mit dem Geld einen vergnügten Abend in einem Blumenhaus zu machen; Majore und Oberste dagegen verschoben ganze Schiffsladungen veralteter Heeresgüter und Ausrüstungsgegenstände für harte Golddevisen.
Die Vereinigten Staaten benutzten Taiwan, die dem chinesischen Festland so günstig vorgelagerte Insel, ausschließlich als Militärbasis. Tschiang Kai-schek und einige seiner Geldgeber zogen daraus beträchtliche finanzielle Vorteile. Die Bevölkerung der Insel schien ein wenig verwirrt, weil der japanischen Besatzung so schnell die amerikanische gefolgt war. Die Menschen gingen ihrer Arbeit nach, sie waren mürrisch, denn die Lebensverhältnisse hatten sich für den einfachen Chinesen kaum gebessert, zudem war der lange Traum von der Wiedervereinigung mit dem Mutterland China durch Tschiang Kai-scheks Politik zunichte gemacht worden. Trotzdem war man vorsichtig mit Äußerungen darüber, da mit der geschlagenen, zerlumpten Armee Tschiangs der ganze Apparat seiner Militärpolizei und seines zivilen Sicherheitsdienstes mit auf die Insel gekommen war. Die Organisatoren der Geheimpolizei hatten ihr Handwerk von der Gestapo Hitlers und von der japanischen Kempei Tai gelernt. Darum war es besser, eine Meinung, die von Tschiang Kai-scheks Politik abwich, nicht zu laut zu äußern. Betrachtete man den fünfstöckigen Bau des Hotels »Mandarin« in der Kwangtung Lu, stellte man sich unwillkürlich die Frage,
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