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Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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wer wohl die eleganten Zimmer dieses Hauses bewohnte, wer seine Restaurants und Cocktailräume, die Bars und Tanzsäle bevölkerte. Jeder, der sich das Publikum genauer ansah, kam bald dahinter, daß hier vorwiegend Ausländer verkehrten. Seit sich die Amerikaner auf der Insel festgesetzt hatten, war Taiwan zum Treffpunkt von Kaufleuten und Spekulanten aus vielen Ländern geworden. Aber auch Militärs und Reisende in schwer erkennbarer Mission fanden sich im Hotel »Mandarin« ein. Taiwan beherbergte in seinen Häfen die 7. Flotte der USA, auf den vielen neuen Flugplätzen des Landes waren Dutzende von Geschwadern moderner Bomber und Jagdflugzeuge stationiert. Amerikanische Ausbilder unterwiesen modern ausgerüstete Einheiten der Armee Tschiangs. Der aufmerksame Beobachter erkannte sehr schnell, daß die Insel Taiwan neben den Philippinen, den Stützpunkten in Japan und auf den Aleuten immer mehr zur strategischen Militärbasis der USA in Asien wurde.
    Im »Mandarin« wurde über derlei Zusammenhänge nur in sorgfältig schalldicht gemachten Konferenzräumen gesprochen. Wer hier wohnte, der wickelte unauffällig seine Geschäfte ab und widmete sich im übrigen dem Nachtleben in den etwas versteckteren Bezirken der Stadt.
    Judith Huang arbeitete als Kellnerin im sogenannten Europäischen Restaurant des Hotels, das im ersten Stock lag. In dieser Etage wurden französische, italienische und österreichische Gerichte sowie einige englische und amerikanische Spezialitäten serviert. Die ausländischen Reisenden schätzten das, denn nicht jeder gewöhnte sich gleich an die chinesischen Speisen, die in den anderen Restaurants der Stadt angeboten wurden. Für Judith Huang war das Hotel ein angenehmer Arbeitsplatz. Sie wohnte im Haus und erhielt eine für Taiwaner Verhältnisse gute Entlohnung. Sie konnte sich in drei Sprachen mit den Gästen verständigen; das verschaffte ihr das Wohlwollen des Besitzers und zuweilen auch ein reichliches Trinkgeld.
    Der Serviermeister blickte ihr nach, als sie mit einem Tablett voller hochstieliger Cocktailgläser auf einen Tisch zuging, an dem eine Gruppe amerikanischer Marineoffiziere saß. Sie stellte die Gläser ab und entfernte sich mit einem angedeuteten Knicks. Judith Huang war ein schlankes, sehr zierliches· Mädchen von vielleicht zwanzig Jahren. Wer sich in Asien auskannte, sah auf den ersten Blick, daß sie ein Mischling war. Bei solchen Menschen traten gewöhnlich die äußerlichen Kennzeichen der einen wie der anderen Rasse gleich stark zurück. Judiths Hautfarbe war blaßbraun, ihre Augen wiesen nur eine ganz leichte Schrägstellung auf. Trotzdem wurde jeder Uneingeweihte sie hier in Taiwan für eine Chinesin gehalten haben. In Europa wiederum würde sie wohl kaum als gebürtige Chinesin erkannt werden.
    Sie hatte die seltene Gabe, jedem Gast das Gefühl zu geben, er würde von ihr ganz individuell und besonders sorgfältig bedient, ohne daß sie dabei den Versuch einer Annäherung herausforderte. Das war eine Eigenschaft, die nicht nur der verantwortliche Serviermeister, sondern auch der Chef des Hotels außerordentlich schätzte. Als sie sich nun an einem anderen Tisch nach den Wünschen eines älteren Ehepaares aus Kanada erkundigte« bedauerte der Serviermeister, abgerufen zu werden. Es machte ihm Spaß, Judith bei der Arbeit zuzusehen und zu beobachten, wie erstaunlich variabel ihr Lächeln war, wenn sie mit den Gästen sprach. Darin unterschied sie sich auffallend von anderen Serviererinnen.
    Die kanadischen Eheleute verlangten Steaks. Als sie Judith umständlich zu erklären versuchten, daß sie das Fleisch nur ganz leicht gegrillt wünschten, versicherte das Mädchen lächelnd: »Ich werde mit dem Koch sprechen. Sie werden zufrieden sein, unser Koch brät außerordentlich gute Steaks. Wie wünschen Sie die Kartoffeln?«
    »Ach!« Der Mann staunte. »Sie haben Kartoffeln? Ich dachte, hier bekommt man nur Reis.«
    »Sie können Chips oder Salzkartoffeln haben, auch angeröstete - ganz wie Sie wünschen.«
    Der Kanadier betrachtete die Serviererin wohlwollend. »Wo haben Sie Englisch gelernt?« fragte er interessiert.
    »In Schanghai«, erwiderte Judith gleichbleibend freundlich. »Ich bin da aufgewachsen.«
    »Sonderbar», bemerkte der Gast. »Sie sprechen, als kämen Sie gerade aus einem englischen College. Sprachtalente haben mich schon immer interessiert.« Er meinte das natürlich nicht so wörtlich, es war nur ein Versuch, mit jemandem, der auf dieser Insel lebte,

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