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Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Bewußtsein prägte seine Einstellung zum Leben, seinen Charakter. Außerdem bemühten sich seine Erzieher, den Jungen so zu beeinflussen, daß einmal ein erfolgreicher Soldat und Offizier aus ihm würde.
    Er legte das Gewehr an und zielte, ein flinker, drahtiger Junge, braungebrannt, mit harten, dunklen Augen; er krümmte die Finger, aber er drückte nicht ab. Im letzten Augenblick erkannte er, daß jene dunkle, borkige Erhöhung, auf die er schießen wollte, kein Alligator, sondern nur ein armlanges Stück verrottetes Holz war, das da auf einer Sandbank lag.
    Er setzte das Gewehr ab und beobachtete gespannt das träge dahinfließende, schlammige Wasser. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich endlich an einer seichten Stelle in der Nähe des Ufers die Umrisse eines kleinen, kaum meterlangen Alligators zeigten. Es war ein junges Tier, das sich auf den Sand heraufarbeitete und dort faul liegenblieb. Diesmal setzte Claire Lee Chennault die Waffe nicht mehr ab. Sein Schuß traf das Tier zwischen die Augen. Es schlug ein paarmal wild um sich und glitt dabei ins Wasser. Als der Fluß es wieder aufnahm, war es bereits verendet. Die Strömung trieb den Kadaver an dem Jungen vorbei.
    Auf den Schuß hin kamen seine beiden Cousins herbeigelaufen, Jungen wie er, die mit ihm in einem Zelt nächtigen wollten, das sie, ein paar hundert Meter entfernt, auf einem Hügel gebaut hatten. Sie folgten mit ihren Blicken dem ausgestreckten Arm des Schützen.
    »Ein Riesending!« rief Dave. Sein Bruder Ben meinte:
    »Schade, daß es abtreibt.«
    Claire Lee Chennault ließ die Patronenhülse aus dem Gewehr springen und erhob sich. Er schenkte der davonziehenden Beute keinen Blick. Was tot war, interessierte ihn nicht mehr. Es kam ihm allein darauf an, zu treffen, zu töten und zu wissen, daß man erreicht hatte, was der Schuß bezwecken sollte.
    »Sie sind ekelerregend«, sagte er. »Es gibt nichts ekelhafteres als Alligatoren. Wißt ihr eigentlich, daß sie nachts aus dem Wasser gehen, wenn es kühl geworden ist? Da muß man aufpassen. Sie kriechen nämlich gern in ein Zelt und richtig unter eine Decke, um sich zu wärmen.«
    Ein paar Stunden streiften sie noch durch die Gegend, ehe sie ihr Abendessen kochten. Als sie müde waren, legten sie sich unter die Zeltplanen und waren bald eingeschlafen.
    Claire Lee Chennault trieb sich, sooft er konnte, in den Wäldern herum. Manchmal versäumte er die Schule und ging auf eigene Faust jagen. Er kannte die Holzfäller und die Tramps auf den Bahnhöfen, die Viehtreiber und wandernden Handwerker. Er lernte von ihnen, wie man gut schoß und wie man Pferde einfing, wie man sich prügelte und wie man Fallen stellte. Sein Vater sah das sehr gern. Ein Junge, so sagte er muß im Freien aufwachsen, wild und gefährlich werden. Im rechten Augenblick muß man ihn zu den Soldaten stecken. Dort gibt er dann das Material ab, aus dem Offiziere gemacht werden. Das bißchen Bildung liest er schon nebenbei auf. Die Mutter lebte nicht mehr, aber seit einigen Monaten war eine neue Frau im Haus, die dachte ebenso wie der Vater.
    Kurz nach Mitternacht wachte Claire Lee Chennault auf. Er lauschte auf die Atemzüge der beiden anderen Jungen. Sie schliefen fest. Behutsam schob er sich aus dem Zelt und schlich zum Fluß. Sein Gesicht wies ein eigenartig spitzbübisches Lächeln auf, als er den borkigen Baumstamm aus dem Wasser zog und zum Zelt schleppte. Er schob ihn vorsichtig zwischen die beiden Schläfer und versteckte sich in einem nahen Gebüsch, wo er ein paar Erdbatzen aufnahm und auf das Zelt warf.
    Dave wurde von dem Geräusch wach. Zunächst wollte er sich nur umdrehen und weiterschlafen. Dann aber tastete er prüfend neben sich, wo Ben liegen mußte. Seine Hand erstarrte in der Bewegung, als er ein nasses, borkiges Etwas fühlte. Ein Alligator! Er stieß einen schrillen, angstvollen Schrei aus, der Ben aufschreckte. Auch dieser berührte ungewollt das Holz, das so täuschend der Rückenhaut eines Alligators glich. Die beiden Jungen hatten den gleichen Gedanken. Wie gehetzt sprangen sie auf und stürzten aus dem Zelt. Erst in gebührender Entfernung blieben sie zitternd stehen. Da ertönte das schadenfrohe Gelächter Claire Lee Chennaults, der aus dem Gebüsch trat und den nassen Baumstamm wieder aus dem Zelt beförderte. Dies war einer der Späße gewesen, die nach seinem Geschmack waren.
    »Angsthasen!« sagte er nur, als die beiden zurückkamen. Sie trauten sich nicht, ihm Vorwürfe zu machen. Er würde sie nur

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