Die weissen Feuer von Hongkong
nicht viel fragen, wenn er hört, daß ihr von mir kommt.«
»Und wenn er uns doch abweist?«
»Aberdeen ist groß«, sagte Kolberg. »Dort gibt es mehr als fünftausend Dschunken und ebensoviel Sampans, auf denen hunderttausend Menschen wohnen. Da ist es nicht schwer unterzutauchen.«
»Du gehst nicht mit uns?«
»Ich fahre zu Luise Lauffer«, erwiderte er. »Vielleicht weiß sie einen Ausweg. Falls der Alte euch nicht aufnimmt ...« Er überlegte einen Augenblick, dann schärfte er Judith ein: »Unterhalb von Aplichau gibt es einen kleinen Basar, der fast nur von Leuten aus Aberdeen besucht wird. Er liegt bei einem Tempel. Kannst du dich erinnern?«
Noch bevor Judith antworten konnte, warf Bert, der still zugehört hatte, ein: »Ich kenne den Tempel, Paps. Er ist ziemlich verfallen, da ist selten jemand.«
Kolberg nickte. Dann sagte er zu dem Jungen: »Siehst du, so ist das im Leben. Man hat uns einen Strich durch unsere Heimreise gemacht. Aber wir schaffen es trotzdem. Uns drei kriegen sie nicht so leicht unter, wenn wir zusammenhalten. Also - wenn es mit dem Boot siebenhundertsieben nicht klappt, wartet ihr in dem Tempel auf mich, bis ich auch dorthin komme.«
Der Junge war unternehmungslustig. Er beschrieb den Weg zu dem Tempel.
Judith fragte zögernd: »Aber, wenn du nicht kommst? Wenn Sie dich ...«
»Sie werden mich nicht!« beruhigte er sie. »Ich werde aufpassen wie ein Fuchs. Und wenn ich komme, werde ich auch wissen, wie es für uns weitergeht.« Es fiel ihm nicht leicht, seinen Worten Festigkeit zu verleihen, und er fürchtete, daß Judith das spüren könnte. Das schlimmste war, daß er selbst noch keine Vorstellung davon hatte, was jetzt zu tun war.
Als der Fahrer in die Graham Road einbog, ließ er ihn
anhalten. Er stieg ab und winkte noch einmal zurück. Dann machte er sich auf den Weg zu Luise Lauffers Studio. Zum erstenmal fühlte er die große Verantwortung, die er damit auf sich genommen hatte, Judith und den Jungen in das Abenteuer einzubeziehen, das er zu bestehen hatte, um endlich jenes ferne Land Deutschland zu erreichen.
Mit einem kurzen Gruß schob er sich an dem Mädchen vorbei, das ihn an der Studiotür empfing, und rief über die Schulter zurück: »Miß Lauffer beschäftigt?« Noch bevor sie antworten konnte, wurde die Tür von Luise Lauffers Privatraum geöffnet, und die große, blonde Frau kam dem Besucher entgegen. Sie runzelte leicht die Stirn, während sie ihn gleichzeitig mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte.
»Sie hier?« Sie betrachtete mit einem leicht ironischen Blick seinen Zivilanzug und bemerkte dann: »Ein Tourist aus Schweden könnte nicht wesentlich anders aussehen. Setzen Sie sich doch, oder wollen Sie die Bügelfalten schonen? Das lassen Sie mal bleiben, sonst sieht Ihnen jeder auf den ersten Blick an, daß Sie nichts anderes zu tragen gewohnt sind als Uniformen. Whisky oder Gin?«
»Whisky«, bat Kolberg. »Ich muß über eine ziemlich ernste Sache mit Ihnen sprechen.«
Er nahm das GIas, das Luise Lauffer ihm anbot. Die Frau ließ sich ihm gegenüber in einen Sessel fallen, zog ihr weißes Leinenkleid zurecht und sagte zwischen zwei Schlucken Whisky: »Ich glaubte Sie bereits auf der Reise. Ist mit den Pässen alles planmäßig gegangen?«
Sie horchte erstaunt auf, als Kolberg ihr in wenigen Sätzen erklärte, was geschehen war. Luise Lauffer hatte nichts davon gewußt, daß zwischen den Paßfälschern und den britischen Behörden eine Verbindung bestand. Sie war von Kolbergs Mißgeschick ehrlich betroffen, aber als er sie fragte, was er jetzt tun könnte, schwieg sie ratlos.
Sie ging zur Anrichte und goß ihr Whiskyglas wieder voll. Trotz der Klimaanlage war es heiß in dem Zimmer, und noch während Luise Lauffer trank, mußte sie daran denken, daß sie in einigen Stunden vermutlich ein bohrender Kopfschmerz quälen würde. Sie hatte sich immer noch nicht an die kluge Lebensregel der Tropen gewöhnen können, den Alkohol vor Sonnenuntergang zu meiden. Sie brannte sich eine lange, mit einem Strohmundstück versehene Zigarette an und blickte nachdenklich dem davonschwebenden Rauch nach. Schließlich fragte sie: »Wo ist Ihr Sohn?«
»Er ist mit Judith zusammen.«
»Das ist die junge Dame, die sich bei mir die Adresse des Paßfälschers geholt hat?«
»Ja.«
Sie blies einen Rauchring in die Luft. »Eine angenehme Frau, und bildhübsch. Es tut mir leid, daß Sie solches Pech gehabt haben. In gewissem Sinne bin ich wohl mitschuldig daran,
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