Die weissen Feuer von Hongkong
großer Bedrängnis sein mußte. Mit einer Handbewegung lud er sie ein, auf das Boot zu kommen. Als sie sich auf dem Vorderdeck gegenüberstanden, erwiderte er ihren Gruß und blickte sie erwartungsvoll an. Statt etwas zu sagen, nahm die Frau aus ihrer Umhängetasche eine Fotografie und hielt sie ihm hin. Er erkannte den Flieger sofort, doch er ließ es sich nicht anmerken. Die Frau fragte zaghaft: »Haben Sie ihn schon einmal gesehen?« Er nickte.
»Ich komme von ihm«, sagte sie. »Ich bin seine Frau. Und dies ist sein Sohn.«
Der Fischer bot ihnen Platz auf einer Segeltuchrolle an, die unweit des Kochöfchens lag, und sagte: »Es freut mich, die Familie des Mannes zu sehen, der mir begegnete. Ich bin nur ein Fischer, und noch dazu ein alter Mann, deshalb kann ich Ihnen nichts weiter anbieten als etwas Tee.« Er wandte sich um und nahm das siedende Wasser vom Ofen. Während er es auf die Teeblätter in der Kanne goß, hörte er, wie die Frau ein paar Worte in einer fremden Sprache zu dem Jungen sagte.
Er nahm aus der gepolsterten Kiste drei Tassen aus Kiangsi-Ton und schenkte sie voll. Während er zwei davon seinen Besuchern hinhielt, bemerkte er: »Die erste Tasse hat den besten Duft, die zweite den besten Geschmack, die dritte die beste Farbe. - Warum ist denn Ihr Mann nicht mitgekommen?«
»Er hat uns zu Ihnen geschickt«, begann Judith. Dem Fischer fiel auf, daß sie sich umblickte und mit den Augen den Kai absuchte. »Er hat gesagt, daß Sie ihm einmal geholfen haben. Es hängt sehr viel davon ab, ob Sie das wieder tun oder nicht.«
Der Alte wiegte den Kopf. »Ich habe nicht viel für ihn getan.«
»Doch«, fiel Judith ihm schnell ins Wort. Es war wohl besser, ihm von vornherein alles zu sagen. Er war ein Fischer, ein einfacher Mensch, wie jene Leute in der Gasse, in der sie aufgewachsen war, wie jene auf dem Kohlenplatz, ganz anders als der aalglatt-freundliche Paßfälscher. Leuten wie diesem Fischer konnte man vertrauen. Von Kind auf hatte sie Umgang mit einfachen Menschen gehabt und ein untrügliches Gefühl dafür gewonnen, das ihr half, sehr schnell Ehrliche von Heuchlern zu unterscheiden. Deshalb fuhr sie fort: »Sie haben keine Fragen gestellt. Das war die größte Hilfe für ihn.«
Yen blickte sie über die Teetasse hinweg an. Er sagte
nichts, lächelte nur. Erst eine ganze Weile später fragte er: »Wird er noch kommen?«
»Ich hoffe es.«
Der Junge behauptete: »Er wird ganz bestimmt kommen! Es wird ihm nichts geschehen.«
»Ich habe alles vergessen, wonach ich ihn hätte fragen können«, sagte der Alte. Dann blickte er plötzlich auf und sah Judith mißtrauisch an. »Ist er in Gefahr?«
Judith nickte. »Wir alle.«
»Warum?« Yen erhob sich, um Tee nachzuschenken. Als die Tassen wieder gefüllt waren, hörte er mit unbewegtem Gesicht zu, wie Judith ihm schilderte, woher Kolberg kam, wie er zu Chennault gelangt war und daß er auf eigene Faust von Korea weggeflogen war, um von hier nach Hause zu kommen. Der Fischer unterbrach sie auch nicht, als sie von dem Mißgeschick mit den Pässen berichtete und davon, daß Kolberg jetzt in der Stadt nach einer neuen Möglichkeit suchte zu fliehen. Zum Schluß sagte sie einfach: »Jetzt wissen Sie alles. Wenn Sie uns nicht aufnehmen, werden wir gehen.«
Der Alte ließ sich Zeit, ehe er etwas erwiderte. So ist das also, dachte er. Kein Amerikaner, sondern ein Deutscher. Deutschland ist eines der vielen kleinen Länder weit im Westen, in Europa. Im letzten Krieg hat es mit den Japanern gemeinsame Sache gemacht. Und dieser da ist hiergeblieben, bei den Amerikanern. Aber er hat etwas getan, was darauf hindeutet, daß er Charakter hat und nachdenkt. Da sitzt seine Frau. Der Junge scheint auch hier aufgewachsen zu sein. Was für eigenartige Schicksale es auf dieser Welt gibt.
»Die Paßfälscher sind alle Halunken«; sagte er mit Überzeugung. »Man müßte sie von früh bis abends wachsweich prügeln. Es sind zwar Chinesen, aber sie stecken mit den Engländern unter einer Decke. Wie lange wollen Sie auf meinem Boot bleiben?«
Sie zuckte etwas ratlos die Schultern. »Wenn wir es überhaupt dürfen ...«
»Man sucht in der Stadt nach Ihnen?«
»Ich glaube, ja«, sagte sie zögernd. »Deshalb müßten wir so schnell wie möglich fort. Aber noch wissen wir nicht, wie.«
Der Alte nickte. Man kann diesem Deutschen nicht nachsagen, daß er ängstlich ist. Er hat etwas gewagt. Und wenn sie ihn fangen, wird die Sache mit dem großen Flugzeug herauskommen,
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