Die weissen Feuer von Hongkong
weil ich Ihnen den Tip mit diesem Paßfälscher gegeben habe. Aber daß er mit den Engländern zusammenarbeitet, habe ich nicht geahnt. Nun weiß ich bei Gott nicht, was man tun könnte.«
»Dann werde ich lieber gleich wieder gehen. Es wäre unangenehm für Sie, wenn man mich bei Ihnen fände.«
Luise Lauffer winkte lächelnd ab. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Mit mir würde Brautmann es kaum auf einen Streit ankommen lassen.«
Sie wußte auch keinen Rat für Kolberg und seine Familie. Der Pilot war sicher, daß sie nicht zu den Leuten gehörte, die dem Konsul oder der britischen Polizei etwas mitteilen würden, doch das genügte nicht. Er mußte einen Weg finden, der von Hongkong nach Deutschland führte.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie nochmals belästigt habe«, sagte er und stand auf.
»Was werden Sie jetzt tun?«
»Nachdenken«, erwiderte er und gab ihr die Hand.
*
Der alte Yen hockte unter einer als Sonnenschutz ausgespannten Plane auf dem Heck seiner Dschunke und flickte ein mürbe gewordenes Fischnetz. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er das bunte, turbulente Treiben um sich herum kaum wahrnahm. Aberdeen glich einem Ameisenhaufen. Es wimmelte von Dschunken und Sampans auf dem stillen Wasser der Bucht, und an Land quirlten die Menschen förmlich durcheinander. Da arbeiteten Bootsbauer und Tischler, Topfflicker und Schmiede, Schuster und Straßenköche. Händler boten ihre Waren an, und barfüßige, braungebrannte Kinder flitzten in Scharen zwischen den Erwachsenen herum. Mütter schleppten ihre Säuglinge in Tragetüchern auf dem Rücken mit sich, Männer drehten Taue oder luden Körbe mit Fischen aus den Dschunken.
Der Rauch eines Kochfeuers wehte an dem alten Yen vorbei und erinnerte ihn daran, daß er heute außer einem altbackenen Hirsekuchen am Morgen noch nichts gegessen hatte. Eigentlich könnte ich mir Reis kochen, überlegte er. Ich habe noch ein Säckchen voll davon, und der nächste Fang bringt Geld genug, um neuen zu kaufen, etwas Gemüse dazu, vielleicht ein Stück Fleisch. Schließlich entschied er sich, doch nur Tee zu kochen. Yen machte es nichts aus, auf eine Mahlzeit zu verzichten, wenn er eine Schale guten Tees hatte. Er teilte die Vorliebe der meisten Kantonesen für dieses duftende Getränk, und er kannte nicht nur dutzenderlei Teesorten, sondern auch ebenso viele Methoden, das Getränk zuzubereiten. Einmal in seinem Leben hatte er sogar echten Drachenbrunnentee getrunken, mit dem mühsam aufgesammelten Tau gebrüht, der sich ganz früh am Morgen in den Blütenkelchen großer Blumen fing. Damals hatte er einen neugierigen, unternehmungslustigen Geschäftsreisenden aus der Schweiz ein wenig durch die Küstenbuchten gefahren. Der Fremde hatte sich einen Spaß daraus gemacht, bei Sonnenaufgang mit Yen gemeinsam Tau aus Hunderten von Blüten in einem Gefäß zu sammeln und damit zwei winzige Schalen jenes köstlichen Getränks zu brauen, das die alten Poeten so gelobt hatten.
Der Alte erhob sich und stellte den Kochofen auf dem Vorderdeck auf. Aus einer Kiste nahm er ein paar Holzkohlen, brachte sie zum Brennen und fachte sie so lange an, bis sie in Glut standen. Dann stellte er einen Kessel mit Wasser auf das Öfchen, und während sich das Wasser erhitzte, spülte er die Teekanne aus, die er wie ein Kleinod hütete. Sie bestand aus rötlichem gebranntem Ton und stammte aus Kiangsi. Es hieß, daß einzig und allein in diesen Tongefäßen aus Kiangsi das volle Aroma des Tees erhalten blieb. Sie waren billig. Aber Kiangsi lag in China, und seit Jahren war von dort kein Tongeschirr mehr nach Hongkong geliefert worden. Deshalb ging Yen vorsichtig mit der Kanne um. Wenn er auf Fang fuhr, lag sie wohlgepolstert in einer Kiste unter Deck.
Er schüttete gerade Teeblätter aus seinem sorgsam in einer bunten Blechbüchse verwahrten Vorrat in die Kanne, da hörte er jemanden rufen. Sich umblickend, bemerkte er auf dem Landesteg, an dem seine Dschunke festgemacht war, eine Frau mit einem Jungen. Er richtete sich auf und legte die Hand an die Stirn, um die Fremden besser sehen zu können. Die Frau winkte ihm. Und als sie ein paar Schritte näher trat, erkannte der Alte sie. Er vergaß Gesichter nicht so schnell, selbst wenn er sie nur auf einer Fotografie gesehen hatte.
Er ging bis an den Rand des Bootes, dorthin, wo es an den Steg anstieß. Nun sah er die Frau deutlich und war sicher, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er ahnte, daß die junge, sehr hübsche Frau in
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