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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Solèr
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Flug des Adlers und die Liebe zu meinem Freund.
    Der Wind bläst gerade in Orkanstärke. Er macht Musik mit Fensterläden und allem, was locker ist. Was erzählt er? Er schmilzt den Schnee, es ist der Föhn. Meine Ziegen sind heute wieder draussen. Nach dem 25. Oktober dürfen sie frei herum laufen. Hoffentlich noch ganz lange, solange der Winter nicht einbricht. Auch ein paar Schafe des Bauern, für den ich arbeite, sind ausgebrochen. Sie sind frei auf der Wiese, und ich füttere nur noch in einem Stall. Die kleinen Lämmer sind voller Lebensfreude.
    Auf der Schafalp hatte ich die Ziegen eines Bauern dabei. Zwei musste ich melken, vier hatten Gitzis. Sie kamen von alleine zur Hütte, wo sie Brot bekamen und gemolken wurden. Eines Abends fehlte eine. Nach zwei Tagen fand ich sie. Oje, was für ein Anblick! Sie lag über dem Tobel im steilen Hang mit einem kaputten Bein. Zwei offene Brüche, die schon angefangen hatten zu eitern. Um sie hinunter zu bringen, war es zu weit. Also selber verarzten. Sammelte Blätter von Meisterwurzel und Hahnenfuss, die ziehen den Eiter raus. Mit den Streifen eines Leintuches bandagierte ich das Bein und gab Arnikakugeln gegen die Entzündungen. Zweimal am Tag wechselte ich den Verband. Langsam kam sie immer näher zur Hütte, und schliesslich erholte sich das Bein. Es blieb ein wenig dicker und krumm, aber sie konnte noch lange heil leben und laufen, bis eine andere Krankheit sie ins Gras beissen liess.
    Schafe sind viel schwieriger zu pflegen. Sie sind scheu, und wenn sie etwas plagt, dann sind sie besonders darauf bedacht, dass der Mensch ihnen nicht zu nahe tritt. Manchmal braucht es nur einen Blick, und sie machen kehrt.
    Jeder kann ein Buch über sein Leben schreiben, auch wenn es noch so unbedeutend erscheint. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ich etwas zu sagen habe. Die Eremitin, die man nur selten zu Gesicht bekommt, die man nicht einordnen kann.
    Im Ofen prasselt das Feuer. Die Schafe sind bis zum Abend versorgt, und die Hunde warten auf Erholung. Heute gehen wir nach Vanescha, um den letzten Fensterladen zuzumachen, bevor der Winter einbricht. Mir wäre es recht, wenn er noch nicht so bald käme. Bei uns dauert er so lange. Dieses Jahr hat es schon im Oktober geschneit – und schon vorher auch. Aber das Wetter können wir nicht beeinflussen. Oder haben wir es schon?
    Gestern hatte ich Angst. Zwei fast verwilderte Ziegen hatten sich in den Felsen verstiegen. Mein Freund und Linus stiegen hoch, um sie zu holen. Der Abgrund unter ihnen war tief, erbarmungslos. Ich blieb mit den Hunden und Janic im Hintergrund. Es ging alles gut, wir konnten die Ziegen fangen und heimbringen. Danke!
    Die elektrischen Geräte mögen mich nicht. Gestern Abend zeigte mir mein Freund, wie der Kopierer funktioniert. Und als ich heute drückte, wie er es mir gezeigt hatte: Kein Wank! Ein anderes Mal wohnte ich bei einer befreundeten Bäuerin, die ein paar Tage weg musste, um ihre Tiere zu füttern. Tagsüber ging ich mit Fellen und Skiern auf den nahen Berg. Am Abend nach der Arbeit streckte ich mich müde auf dem Sofa aus und wollte fernsehen. Als ich auf die Fernbedienung drückte, verschlüsselte ich versehentlich die Kanäle. Also aus mit Fernsehen. Da ich keinen besitze, hatte ich mich auf Fernsehabende gefreut. Doch dann spielte der Vater meiner Freundin zu meiner Unterhaltung in der oberen Wohnung Handorgel und sang dazu. Live Musik, noch besser! Was mich besonders faszinierte: Er hat erst mit 80 Jahren damit angefangen, und er hat Talent.
    Die Launen der Menschen sind schwer zu verstehen. Auch Tiere sind launisch, aber offen und klar. Menschen sind oft grundlos gemein, verschlossen hinter dampfenden Gehirnen.
    Rosen am Briefkasten, der Pöstler meint es gut, er ahnt aber nicht, dass er damit die Fantasie gewisser Leute anspornt. Es könnte eine versteckte Liebeserklärung sein! Von wem? Von dem oder dem oder dem?
    Man kann in einem kleinen Dorf leben, umringt von Bergen, und doch einen weiten Horizont haben. Ab und zu tut es aber auch gut, auf die Berge zu steigen, um zu schauen, wie gross die Welt ist. Um die Weite zu fühlen.
    Die Wüste, sie ist den Bergen ähnlich. Sie hat mir gefallen. Mit einer Reisegruppe war ich zehn Tage mit Kamelen unterwegs. Wir hatten Zelte dabei, aber ich schlief meistens draussen. Die Sterne waren die gleichen wie daheim. Manchmal bläst der Wind den Sand bis in unser Tal, rötlicher Schnee. Ein Sandsturm ist wie ein Schneesturm. Beides kann tödlich

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