Die Weiterbildungsluege
Er hat mir kurz ein paar Stichworte hingeworfen. Es gab keine
Gelegenheit, in eine Diskussion einzusteigen und Ziele zu besprechen. Eine Vereinbarung war es auch nicht.« Und so wird die
Idee des Systems konterkariert. Noch einmal: Wenn Chefs nicht leben, was ihre Mitarbeiter lernen sollen beziehungsweise was
man von ihnen erwartet, bleibt jedes |143| Commitment auf der Strecke. Die Kritik geht immer wieder dahin, dass sich die Granden erst einmal an die eigene Nase fassen
und bei sich selbst anfangen sollen, bevor sie den Mitarbeitern diverse Dinge abverlangen. Für eine Personalentwicklerin aus
der Automobilindustrie ist deshalb klar: »Ich brauche kein Projektmanagement einzuführen oder für ein Thema teure Berater
einzukaufen, wenn ich die Punkte nicht mal ansatzweise selbst verwirkliche.« Kurzum: Es herrscht große Einigkeit über die
Rolle von Top-Managern für den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen. Nur sie selbst kümmern sich nicht darum. Warum auch. Ihr
Chef lebt es ihnen ja auch nicht vor.
Wie ein Wendehals:
Ein neuer Chef kommt, das PE-Programm geht
Chefs haben ganz andere Sorgen, als sich um ihre Vorbildrolle zu kümmern. Umsatz, Gewinne und Rendite. Darum geht es. Besonders
die börsennotierten Unternehmen sind sehr ergebnisgetrieben. Mit dem Ziel der Gewinnmaximierung dreht sich dann auch immer
wieder das Personenkarussell. Die Zahl der Chefwechsel wegen mangelnden Erfolgs hat sich einer Untersuchung zufolge von 1995
bis 2006 mehr als verdreifacht. Die Verweildauer der Unternehmenslenker im Amt in Europa in den vergangenen Jahren ist von
gut acht auf weniger als fünf Jahre gesunken. 53 Der Chefsessel deutscher Top-Manager ist also immer häufiger ein Schleudersitz. Und dieser Sachverhalt führt uns zu der Preisfrage,
was ein rindenfarbener, graubrauner Vogel mit Top-Managern und Weiterbildung zu tun hat. Der gefiederte Freund wiegt etwa
50 Gramm, hat eine Körperlänge von ungefähr 17 Zentimetern und sieht auf den ersten Blick wie eine Singdrossel aus. Haben
Sie erraten, um wen es sich handelt? Es ist der Jynx torquilla. Kennen Sie nicht? Bei rund 9 800 bekannten Vogelarten kann
das schon mal passieren. Vielleicht ist Ihnen das deutsche Wort geläufig. Die Rede ist vom Wendehals. Und an dieser Stelle
kommt die Weiterbildung wieder |144| ins Spiel. Denn ähnlich auffällig, wie dieses Vögelchen seinen Hals verdrehen kann, gibt es auch bei Personalentwicklungsprogrammen
komplette Kehrtwendungen. Nachhaltige Personalentwicklung? Fehlanzeige. Vielmehr ist Weiterbildung wie ein Spielball, den
man mal rechts oder mal links ins Feld kickt. Manchmal auch ins Aus. Denn jede Geschäftsführung hat andere Vorstellungen.
Immer wieder haben mir Personalleiter oder -entwickler von diesem Phänomen berichtet. Da kommt ein neuer Kopf und die bisherige
Arbeit war für den Papierkorb. Besonders bei Wechseln im Vorstand oder auf der Bereichsleiterebene. »Das kenne ich aus allen
Unternehmen«, bestätigte mir auch eine Personalentwicklerin aus dem Bankenbereich. »Jeder hat seine eigenen Vorstellungen
und Ideen. Er glaubt, was der Vorgänger gemacht hat, ist wertlos.« Sie hat selbst erlebt, wie erarbeitete Leitsätze für Führung
und Zusammenarbeit nicht mehr von Interesse waren. Das Gerüst von Aussagen war gerade fertig und wurde in den Einheiten weiter
diskutiert und reflektiert, als ein neuer Vorstand antrat. Es kam nicht mehr dazu, alle Gedanken und Anregungen zusammenzuführen
und in Leitsätzen zu verdichten, die die Basis für Trainings darstellen sollten. Der neue Vorstand wollte das Ganze nicht
mehr vorantreiben. »Da haben wir richtig Arbeit und Geld reingesteckt«, erzählt die Personalentwicklerin. »Wir haben rund
30 Workshops mit externer Unterstützung gemacht. Es war alles sehr teuer, sehr aufwändig und am Ende haben wir nichts damit
gemacht.«
Und so heißt es ganz schlicht: Ab in die Schublade und warten, bis der Nächste kommt. Ein neuer Kopf, ein neues Glück. Oft
auch Pech, wenn wieder ein hoch priorisiertes Trainingsprogramm eingestampft wird. Bei dieser Praxis verpuffen nicht nur Zeit
und Geld wie Seifenblasen. Auch Motivation und Bereitschaft der Mitarbeiter, sich zu engagieren, sinken. Denn wie heißt es
so schön: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Oft habe ich von langjährigen Mitarbeitern Sätze gehört wie:
»Das habe ich schon mal vor einigen Jahren als Gedanken eingebracht und es ist nichts
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