Die Weiterbildungsluege
was mir bei meiner Ankunft entgegenkam, war ein schwarzer, strubbeliger Hund. Er kam direkt aus der Küche. Und
auf dem Flur muffte es nach nassem Fell. Aber das Nordsee-Umfeld war natürlich herrlich. Bis spät abends hockten die Teilnehmer
an der Bar. Am nächsten Morgen saßen sie dann alle mit trüben Augen da. Einer bemerkte: »Irgendwie bekommt mir die Meeresluft
nicht. Mir ist so kodderig.« Ich weiß nur noch, dass ich schnellstens wieder nach Hause wollte. Doch egal. Am Ende zählt das
Geld. Und genau wie es die erwähnte Personalentwicklerin erlebt hat, kennen es auch andere Weiterbildungsanbieter. Wer den
richtigen Draht zu den Unternehmen hat, kann mit ausgefallenen Trend-Seminaren oder Outdoor-Veranstaltungen gutes Geld verdienen.
Gefragt sind ausgefallene Events, die im Gedächtnis haften bleiben. Denn nur so kommen am Ende alle schwer begeistert zurück.
Natürlich lässt dieser Effekt ganz schnell nach. Doch die Kreativität der Anbieter kennt keine Grenzen: Führungstrainings
zusammen mit blinden Menschen in einem stockdunklen Raum, Teamtraining als Krimifall, Seminare 250 Meter unter der Erde in
einer Kohlegrube, Lach-Seminare für mehr Gesundheit, Rentierschlittenfahrten in Skandinavien, Schwitzen in der Sauna, Persönlichkeitsentwicklung
aus schamanischer Sicht, Strategiefindung und Selbsterfahrung in der Wüste bei Sonne und Sandsturm – es gibt nichts, was es
nicht gibt. Und wer bezahlt es? Die Firmen mit konfliktscheuen Chefs.
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|137| Kapitel 6
Der Fisch stinkt vom Kopf her
Top-Manager als schlechtes Vorbild
»Meine sehr geehrten Damen und Herren, jeder Kunde, mit dem wir in Kontakt kommen, trägt für uns ein unsichtbares 10 000-Euro-Schild
auf der Stirn. Wir müssen unsere Kunden begeistern, damit sie immer wieder bei uns kaufen und zu aktiven positiven Empfehlern
werden. Dazu müssen wir alle noch kundenorientierter werden. Über alle Hierarchie-Ebenen hinweg. Sie müssen zu ›Menschenverstehern‹
werden.« Der Geschäftsführer schaute prüfend in die Gesichter bei der Belegschaftsversammlung, um die Wirkung seiner Worte
zu erkunden. Versteinerte Mienen. Die Botschaft hatte also gesessen. Die Mannschaft fühlte sich ertappt. Zufrieden fuhr er
fort: »Fast jeder im Unternehmen kann heute direkt oder indirekt zur Anlaufstelle für den Kunden werden. Deshalb braucht nicht
nur das Sales-Team, sondern jeder einzelne Mitarbeiter im Unternehmen kundenorientiertes Denken und Handeln. Auch der Lagerarbeiter,
die Aushilfe und die Putzfrau. Selbst Mitarbeiter, die selten oder nie Kundenkontakt haben, können davon nicht ausgenommen
werden.« Einige Wochen nach dieser strategischen Rede startete im Unternehmen die Initiative »König Kunde«. Flächendeckend
waren Seminare zum Thema Kundenorientierung vorgesehen. »Was wollen Sie uns denn noch beibringen? Wir sind schon alle sehr
kundenorientiert!«, schallte es mir in einem Seminar entgegen. »Eigentlich müsste unser Geschäftsführer hier sitzen und Kundenorientierung |138| lernen«, meinte ein bärtiger Mittvierziger aus dem Innendienst. »Der parkt nämlich immer auf einem der vier Kundenparkplätze
direkt vor dem Haus, weil er nicht so weit laufen will.« An dieser Stelle sacken dem sturmerprobten Trainer die Knie weg.
Er erkennt die ins Unermessliche reichende Motivation der Mitarbeiter, die anstehenden Seminarinhalte umzusetzen. Verständlich,
wenn sich der oberste Chef nicht einen Deut um seine eigenen Anforderungen schert. Da passt dann auch wieder die ebenso alte
wie wahre Redewendung, dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Wenn das Top-Management sein Tun nicht in Übereinstimmung mit den
eigenen Aussagen bringt und umgekehrt, wird es zu Recht nicht ernst genommen. Von einer Vorbildwirkung für die Belegschaft,
von Mitarbeitermotivation oder gesundem Wirtschaften ganz zu schweigen. Hinzu kam, dass der Geschäftsführer und seine oberste
Führungsetage nicht an der Seminarreihe teilnahmen. Begründung: »Keine Zeit.« Top-Manager unterminieren mit ihrem Handeln
den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen. Dabei sind die Zusammenhänge so simpel. Schon das Kleinkind schielt mit Argusaugen
zu den Eltern und guckt sich deren Verhalten ab. Und genauso orientieren sich Mitarbeiter daran, wie ihre obersten Chefs mit
Weiterbildungsmaßnahmen umgehen. Was sie sehen, lässt Personalentwicklung zur Lachnummer verkommen. Beliebigkeit statt Nachhaltigkeit.
Da werden
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