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Die Weiterbildungsluege

Titel: Die Weiterbildungsluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gris
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Bäcker.
    Entschuldigung, dass Sie warten mussten. Ah – wenn Sie nur diesen Kuchen sehen könnten. Dieser Duft. Dieser Geschmack. Deliziös.
     Aber halt. Ich wollte Ihnen natürlich nichts über Backwaren erzählen. Es geht um gruppendynamische Prozesse. Der Begriff Gruppendynamik
     stammt von dem bedeutenden Psychologen Kurt Lewin, der Anfang des 20. Jahrhunderts lebte. Dahinter verbergen sich typische
     Vorgänge und Abläufe in einer Gruppe von Menschen. Und was ich Ihnen eben beschrieben habe, ist der ganz normale Prozess der
     Konformität. Menschen neigen dazu, das Verhalten und die Meinungen anderer Gruppenmitglieder anzunehmen, wenn ihnen die Gemeinschaft,
     in der sie sich bewegen, wichtig ist und sie nicht ausgeschlossen werden wollen. Welches Verhalten und welche Meinungen angemessen
     sind, bestimmen Gruppennormen. Sie haben einen sehr starken Einfluss auf das individuelle Verhalten. In jeder Gruppe gibt
     es übrigens solche Spielregeln. Es sind Erwartungen darüber, wie man sich zu verhalten hat. Also was richtig und was falsch
     ist. In dem erwähnten Team der Personalabteilung war es also absolut falsch, keinen Kuchen zu essen. Gruppennormen und Konformität
     sind der Grund, weshalb auch gute Verhaltensvorsätze aus Weiterbildungen keine Überlebenschance haben.
    Ein Klassiker ist folgende Situation, die mir jüngst in der Disposition einer Spedition begegnete. Ein Mitarbeiter wurde zu
     einem Training entsandt, um kundenorientiertes Verhalten am Telefon zu lernen. Zwei Tage lang erfuhr der Kollege etwas über
     freundlichdynamische Sprechmuster, kundenorientierte Rhetorik und natürlich über die richtige Meldung am Telefon. Er lernte
     eine bestimmte Reihenfolge beim Meldetext, damit sich der Anrufer gut aufgenommen fühlt und auch versteht, wer am anderen
     Ende der Leitung ist. Übrigens, falls es Ihnen entfallen sein sollte: Ich rede über die Speditionsbranche. Bekanntermaßen
     ein Hort des rauen Umgangstons |168| . Wer mal die Arbeit in einer Disposition beobachtet hat, weiß, dass dort diverse Mitarbeiter mit hektisch roten Köpfen lautstark
     Aufträge von Kunden annehmen und unter Zeitdruck weiterverarbeiten. Kurze, knappe, bisweilen forsch-hektische Telefonate sind
     an der Tagesordnung. Die Kunden kennt man vielfach. Der besagte Dispo-Mitarbeiter kam also wieder vom Seminar an seinen Arbeitsplatz
     zurück. Voll guter Vorsätze. In aufrechter Körperhaltung nahm er mit einem Lächeln im Gesicht den Hörer von der Gabel: »Guten
     Tag. Spedition Kaiser. Gert Maurer. Was kann ich für Sie tun?« Seine Kollegen nahmen aus dem Ohrenwinkel diese ungewohnten
     Worte wahr. Auch sahen sie diese komische Körperhaltung mit dem blöden Grinsen. Die Folge waren entglittene Physiognomien,
     wie man sie nur nach einer intensiven Gesichtsmassage bewundern kann. Denn üblicherweise wurde der Hörer von der Gabel gerissen
     und leicht chronisch genervt in den Hörer gebellt: »Baldran, Spedition Kaiser.« Welten taten sich dazwischen auf. Und die
     Reaktion folgte prompt auf dem Fuße. »Bist du krank?« Erklärungsversuche vom Kollegen Maurer, die ins Leere gingen. »Was ist
     denn das für ein Quatsch? So haben wir noch nie mit den Kunden gesprochen. Die halten uns doch für bekloppt.« Menschen können
     so grausam sein. Sagte ich schon etwas über Wüstenrennmäuse? Es dauerte nicht lang, und der motivierte Kollege kehrte zum
     alten Telefonverhalten zurück. Auch alle anderen Ideen, die er aus dem Seminar mitgenommen hatte, ließ er fallen. Er befürchtete,
     dass sich bekannte Kunden über ihn lustig machen könnten. Außerdem wollte er sich nicht weiter dem Gespött im Kollegenkreis
     aussetzen. Die Macht der Gruppe hatte ihn wieder in alte Muster zurückgedrängt. Wie groß ein solcher Einfluss ist, hat in
     den 1950er Jahren der Sozialpsychologe Solomon Asch in einem vielzitierten Konformitätsexperiment nachgewiesen. Dabei saß
     eine Reihe von Personen an einem Konferenztisch. Der Versuchsperson, die diesen Raum betrat, wurde gesagt, es handle sich
     um andere freiwillige Teilnehmer an dem Experiment. In Wahrheit waren jedoch alle Anwesenden außer der Versuchsperson Vertraute
     des Versuchsleiters. 58
    |169| Die Gruppe musste die Länge von senkrechten Linien im Vergleich zu einer Bezugslinie angeben. Es zeigte sich, dass sich die
     Versuchspersonen der Mehrheitsmeinung der Vertrauten anglichen – auch wenn deren Urteile objektiv falsch waren. Dabei spielte
     es keine Rolle, ob die

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