Die Weiterbildungsluege
beliebter Leitsatz in Arbeitsteams ist »Gute Leistungen sind selbstverständlich und brauchen
deshalb kein Lob«. Oder wie es mal jemand formulierte: »Das größte Lob ist die Abwesenheit von Kritik.« Führungstrainings
zielen nun oft darauf ab, den Teilnehmern genau an diesem Punkt die Augen zu öffnen. Und nachdem den Chefs klar geworden ist,
dass sie angesichts des Business-Drives die Heerschar ausgehungerter Seelen um sich herum übersehen haben, wird schnell der
Vorsatz gefasst, jetzt auch mal aufrichtig und intensiv zu loben. Nicht aus humanistischen Idealen, versteht sich. Nein, damit
der Mitarbeiter noch mehr schuftet. Und dann passiert es. Völlig überraschend im Morgengrauen: »Was war denn das?« Sie traute
ihren Ohren nicht. Gerade hatte ihr Vorgesetzter sie zur Seite genommen und gesagt: »Mein Kompliment. Wie Sie sich in den
letzten Auftrag hineingearbeitet haben. Sehr gut. Zumal es ein völlig neues Aufgabenfeld war. Klasse.« Ihr Gehirn ratterte
wie eine Registrierkasse. Ein Lob. Was ist das? Laut Bedeutungswörterbuch handelt es sich dabei um anerkennende Worte oder
ermunternden Zuspruch. Irritation aufseiten der Empfängerin. Hatte der Chef Drogen genommen?
Sofort wird das Ereignis weiterkommuniziert. In der Raucherecke oder Teeküche bildet sich ein Pulk von Gleichgesinnten und
lästert. »Weißt du, was mir gerade passiert ist? Herr Fernweh hat mich gelobt.« –»Bist du sicher?« – »Ja, aber das war ganz
komisch. Das klang so aufgesetzt.« – »Bestimmt will der dir noch einen Job aufbrummen. Der macht doch nichts ohne Berechnung.«
Die Personalentwicklerin eines Verlagshauses kennt nur zu gut die Sprüche |172| , die dann fallen: »Ach komm, der war bei dem Training. Warte mal ab, der wird bald wieder normal.« Oder: »Der war auf einem
Seminar. Der ist jetzt ein bisschen komisch. In zwei Wochen ist der wieder der Alte.« Mitarbeiter merken sehr deutlich, wenn
Vorgesetzte neue Erkenntnisse aus einem Seminar umsetzen. Sie sind misstrauisch, was dahintersteckt. Hinzu kommt, dass sie
die ersten vorsichtigen Umsetzungsversuche negativ bewerten. Statt die positive Absicht zu würdigen, wird kritisiert, dass
der Vorgesetzte nicht authentisch wirkt oder sich anscheinend dabei nicht wohlfühlt. »Das ist nicht sein Ding. Das ist ihm
unangenehm. Das passt einfach nicht zu seiner Person.«
Und im Grunde sehnen sich alle den Moment herbei, da der Chef geläutert von seiner Absicht wieder seine alten Muster pflegt
– die man gewohnt ist, mit denen sich jeder auskennt. Die neue Situation ist einfach zu angespannt, wie mir mal eine Mitarbeiterin
aus ihrer Erfahrung berichtete: »Er hat es dann auch schnell wieder sein gelassen. Ich muss ehrlich sagen, das war nicht so
schlimm, weil sein neues Verhalten für uns auch sehr unangenehm war.« Es ist der Kreislauf einer sich selbsterfüllenden Prophezeihung.
Der Chef macht die ersten zaghaften Versuche von Komplimenten. Die Mitarbeiter gehen innerlich auf Distanz. Der Chef spürt
die Abwehr und wird noch unsicherer. Vielleicht hört er hintenrum ablehnende Worte. Und ehe es richtig peinlich wird, zieht
er die Fühler ein wie eine Schnecke, der man aufs Häuschen klopft. Es kostet ohnehin nur zusätzliche Zeit und Arbeit und ist
anstrengend. Und schon greifen wieder die Mechanismen, die Sie aus den vorherigen Kapiteln kennen. Wann immer andere Menschen
von persönlichen Veränderungsvorhaben betroffen sind, wird die eigene Komfortzone berührt, weiß auch die eben genannte Personalentwicklerin
des Verlagshauses. »Da muss ich ja auch als Mitarbeiter etwas anderes tun, wenn mein Chef sich anders verhält, und das ist
nicht immer angenehm.« Da sind lobende Worte noch das kleinere Übel. Viel dramatischer ist es, wenn der Vorgesetzte oder ein
Kollege lernt, geradliniger und konsequenter aufzutreten, Konflikte auszufechten |173| oder sich stärker durchzusetzen. Dann ist Holland in Not. Und der Appell wird laut: »Du kannst dich ja gerne ändern, aber
möglichst so, dass es mich nicht betrifft.« Und wenn dieser fromme Wunsch nicht fruchtet, dann zeigt sich das ganze Arsenal
bösartiger Methoden, um Abweichler wieder in die alte Spur zu bringen.
Insel der Isolation: Das Martyrium des Gruppendrucks
Im Mittelalter waren die Maßnahmen gegenüber Abweichlern so einfach wie effektiv. Man wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Damit war die Norm wiederhergestellt. Heute sind die Maßnahmen
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