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Die Weiterbildungsluege

Titel: Die Weiterbildungsluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gris
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Personalentwicklerin
     aus der Finanzdienstleistungsbranche kennt dieses Phänomen ebenfalls. Sie erinnerte sich an ein Seminar, in dem die Mitarbeiter
     etwas über Ich-Botschaften und Aktives Zuhören erfuhren. Eine Lernerfahrung war: Man solle vorwurfsvolle Formulierungen vermeiden
     wie »Du hast … und ich will und man sollte nicht« und sich beim Zuhören in den anderen hineinversetzen. Die Erzählungen der
     Personalentwicklerin ergaben das folgende Bild: Nach dem Seminar bildeten sich unvermeidlich zwei Fraktionen. Die einen fanden
     die Idee gut, durch bewusste Kommunikation im Alltag Win-Win-Situationen zu schaffen, die anderen fanden es blöd. Tenor: »Wozu
     soll das gut sein, wir haben bisher auch schon miteinander geredet.« Es passierte derselbe Effekt, wie wenn man eine faule
     Birne in einen Obstkorb legt. Kurze |178| Zeit später sind alle Früchte verdorben. Und dabei begannen einige Mitarbeiter mit guten Vorsätzen. Ein Kollege wendete bei
     nächster Gelegenheit die Ich-Botschaft an und sagte in neuer Manier: »Ich kann ja verstehen, dass du dich darüber ärgerst.«
     Sein Gegenüber interessierte das aber nicht die Bohne. Sarkastisch entgegnete er: »Hör doch mit dem Gelaber auf.« Jeder, der
     so was mal am eigenen Leib erlebt hat, weiß, welch bescheidenes Gefühl sich angesichts dieser Worte in einem ausbreitet. Schlagartig
     ist die Motivation für den nächsten Versuch dahin. Und wenn man sich ein zweites oder gar drittes Mal aufrafft und auch nicht
     auf Gegenliebe stößt, lässt man es ganz sein. Trotzig fragt man sich: »Warum soll ich mich hier ändern und mich beschimpfen
     lassen, wenn die anderen auch nichts machen?« So passiert es, dass miesepetrige und dominante Gruppenmitglieder den Lerntransfer
     ad absurdum führen. Sprüche wie »Warte mal ab. Ein bis zwei Tage oder Wochen, dann hörst du auch wieder damit auf« oder »Du
     siehst doch, dass das bei uns nicht geht« heizen den negativen Entwicklungsprozess noch weiter an. Es kommt eben keiner auf
     die Idee zu sagen: »Toll, du hast die erste Ich-Botschaft deines Lebens von dir gegeben. Die klang zwar noch wie vom Tonband,
     aber alle Achtung. Es motiviert mich, dass ich dich nicht gleich zur Sau mache, wie sonst immer.« Wer so im Team reden würde,
     müsste mit der Zwangsjacke rechnen. Zumindest mit Ablehnung, weil es so komplett anders ist als sonst. Und schon schnappt
     die gruppendynamische Falle wieder zu. Der Einzelne fühlt sich unwohl und unsicher, wenn er sich gegen die Norm verhält. Die
     Angst ist groß, sich unbeliebt zu machen. Statt sich mit dominanten Gruppenmitgliedern zu streiten oder Überzeugungsarbeit
     zu leisten, lässt man es lieber sein. Dabei gäbe es durchaus eine Chance, die Macht der Mehrheit zu überwinden und Erkenntnisse
     aus Weiterbildungen als neue Teamnorm zu etablieren. Befunde aus der sozialpsychologischen Forschung von Serge Moscovici zeigen,
     dass Minderheiten durchaus Einfluss auf Mehrheiten haben und tradierte Normen überwinden können. Für mich ist das beste Beispiel
     dafür die Öko-Bewegung in Deutschland, die |179| Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre unaufhaltsam ihren Siegeszug begann. Waren es damals nur ein paar langhaarige Spinner
     mit ausgelatschten Birkenstock-Sandalen, die gegen Atomstrom protestierten oder auf gesunde Ernährung mit Bio-Brot, Müsli
     und artgerechte Tierhaltung pochten, sieht die Welt heute anders aus. Gesunde Ernährung ist das Thema unserer Tage. Man kann
     in jedem Lebensmitteldiscounter eine Bio-Theke finden. Bio-Joghurt, Bio-Käse oder auch Bio-Lamm. Selbiges wurde dann wohl
     auch biomäßig geschlachtet. Und das kann eigentlich nur bedeuten, dass es eines natürlichen Todes gestorben ist. Es ist einfach
     trendy, im Bio-Supermarkt einzukaufen und sich das Thema »Nachhaltigkeit« auf die Fahnen zu schreiben. Wie sehr es breite
     Teile der Bevölkerung bewegt hat und noch immer antreibt, zeigt sich am Erfolg der »Grünen«. Bereits drei Jahre nach Gründung
     der Partei hielt sie im Jahr 1983 mit 5,6 Prozent Wählerstimmen Einzug in den Bundestag und irritierte die Republik. 63
    Greift man auf die Studien von Moscovici 64 zurück, haben solche Minderheiten immer dann eine Chance, wenn sie mit hoher Überzeugungskraft konsequent und konsistent
     ihren Standpunkt vertreten. Ihre starke innere Überzeugung hilft ihnen anscheinend, gegen alle Widerstände immun zu sein und
     das nötige Durchhaltevermögen an den Tag zu legen. Und dieses

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