Die Weiterbildungsluege
Werkzeug der künstlichen Beregnung.« So erklärt es
uns das Lexikon. 69 Es verschweigt jedoch, dass die Gießkanne auch noch zum am meisten zitierten Gartengerät in der Weiterbildung gehört. Woher
sollte es auch solche Feinheiten wissen? Interessanterweise sagt man nicht, es wird mit der Heckenschere geschult oder gar
mit dem Rasenmäher weitergebildet. Nein, die Gießkanne kommt zum Einsatz. Damit ist nicht gemeint, Wissen im Sinne eines »Nürnberger
Trichters« in die Hirne der braven Teilnehmer zu gießen. Vielmehr wird damit ausgedrückt, dass Weiterbildung unsystematisch
auf die Köpfe der Mitarbeiter herabregnet. Da wird hier mal ein bisschen geschult und da mal ein bisschen und wenn die Kanne
leer ist, sprich Ebbe im Budget, lässt man es sein. Da es weder ein Konzept noch ein System noch Kontinuität gibt, sind Weiterbildungseffekte
genauso langlebig wie ein Tropfen Wasser bei strahlender Sonne. So lautet die gängige Kritik von Weiterbildungsexperten. Sie
fordern eine systematische, kompetenz- und strategiebasierte Personalentwicklung, damit Weiterbildung für ein Unternehmen
Sinn ergibt.
Nur eines wird vor lauter Theorie vergessen. Der systematische Ansatz trägt nur dazu bei, noch mehr Geld zu vergeuden. Es
wird |187| zwar mehr Aufwand betrieben, aber es kommt trotzdem nicht mehr dabei heraus. Und in diesem Zusammenhang kommt der Gießkannen-Metapher
noch eine andere – bisher wenig verwendete – Bedeutung zu, die sich mit dem gleichmäßigen Wasserstrahl aus der Tülle begründet.
Sie betrifft die Praxis, über die Mitarbeiter einer Firma bestimmte strategisch wichtige Personalentwicklungsprogramme auszuschütten
– nur gehen sie am Bedarf der Betroffenen vorbei. Das ist so ähnlich, wie wenn ein Schrebergärtner allen Pflanzen die gleiche
Menge Wasser angedeihen lässt. Jede Blume, jeder Strauch und Baum bekommen unterschiedslos eine halbe Kanne. Auch das Gras
freut sich, der Salat zuckt unwillig, die Distel gerät in ekstatische Zustände und der Kaktus denkt an Auswanderung – bevor
er den Ertrinkungstod stirbt. Kurzum, auf die Bedarfslage einzelner Individuen wird keine Rücksicht genommen.
Dass PE-Programme quasi mit dem Bade ausgekippt werden liegt darin begründet, dass Personalentwickler aus den theoretischen
Überlegungen der systematischen Mitarbeiterqualifizierung heraus ihre Konzepte im Elfenbeinturm aushecken. Besonders in Konzernstrukturen
schwebt die Personalentwicklung strategisch in höheren Sphären und ist einfach zu weit weg vom Alltag der Zielgruppe. Die
Opfer der Weiterbildung fühlen sich davon nur in der Arbeit gestört. »Die sollen mich mal machen lassen«, lautet der Vorwurf,
oder es kommt zu dieser typisch abwehrenden Handbewegung: »Personal hat keine Ahnung, was bei uns hier abläuft.«
Meistens wählen die Zwangsbeglückten den Weg des geringsten Widerstandes und trotten zur Schulung. Lässt man es halt über
sich ergehen wie einen Regenschauer. Und wenn der Mitarbeiter Glück hat, findet die Fortbildung in einem schönen Seminarhotel
mit fulminantem Büfett und Wellness-Oase statt. Das Sahnehäubchen sind dann noch sympathische Teilnehmer und ein unterhaltsamer
Trainer. Apropos Trainer. Ihm obliegt es, mit der hoch motivierten Gruppe von Entsandten eine Form der Zusammenarbeit zu finden,
die den Schein wahrt. Nach absolvierter Schulung geht der |188| geistig Gestärkte dann wieder zurück an den Arbeitsplatz und die Sache ist erledigt. Vielleicht bleibt ja auch etwas hängen.
Von der Weiterbildungsöffentlichkeit unbeachtet steht übrigens noch ein kleiner Nebensatz zur Gießkanne im Lexikon: »Ihre
spezielle Form dient dem Zweck, die benötigte Wassermenge in gewünschter Dosierung, möglichst zielgenau oder gleichmäßig verteilt,
an die Pflanzen zu bringen.« 70 Das wäre dann, in unser Thema übersetzt, bedarfsgerechte Weiterbildung. Und was lernen wir daraus? Auch die Gießkannen-Metapher
ist ein Mythos.
Punktuelle Seminare: Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Wir befinden uns im Jahr 2025. Ganz Deutschland ist durchsetzt von einer strategieorientierten, systematischen Weiterbildung.
Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Führungskräften bevölkerte mittelständische Firma hört nicht auf, mit der Gießkanne
zu schulen. Den Mitarbeitern ist kaum möglich, sich gegen die strategieorientierte, systematische Weiterbildung zu wehren,
die als das Maß aller Dinge zum Unternehmenserfolg
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