Die Weiterbildungsluege
angesehen wird. Doch die besagte mittelständische Firma ist standhaft.
Nennen wir sie »Schulze & Schulze GmbH, Händler für Dachbaustoffe«. Sie hat, sagen wir mal, 115 Mitarbeitern und ein stolzes
Jahresumsatzvolumen von etwa 45 000 000 Euro. Wer im Dachhandwerk arbeitet, steht halt über den Dingen. Die Firma versteht
ihr Geschäft. Seit 60 Jahren verkauft sie Hartbedachungen und Fassadenbekleidung.
Kommen wir zu den Hauptakteuren in dieser Firma. Da ist der Geschäftsführer Norbert Nutz, wir nehmen an, er ist 55 Jahre alt.
Ein Mann vom alten Schlag. Ein bisschen patriarchisch veranlagt und glühender Bekenner des Pragmatismus. Er führt das Unternehmen
seit 20 Jahren erfolgreich und imponiert mit guten Betriebsergebnissen. Jede Weiterbildung wird schlussendlich von ihm genehmigt.
Seine besondere Schwäche ist ein Schnaps der Region namens Dollertusch. An seiner Seite ist die Sekretärin Kerstin |189| Kümmerdich, 42 Jahre alt, die gute Seele im Haus. Sie wickelt in Sachen Weiterbildung die gesamte Seminaradministration ab.
Sie hat wunderschöne strahlend grüne Augen und man kann ihr nichts abschlagen. Es sei denn, es kostet Geld.
Im Haus herrscht die Politik der kurzen Wege – zum Nachteil der körperlichen Kondition aller Beteiligten. Man muss nämlich
für ein Gespräch nicht weit laufen. Herr Nutz bespricht mit seinen drei Abteilungsleitern viel zwischen Tür und Angel. Auch
Weiterbildungsthemen. Da er gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter als das Rückgrat des Unternehmens ansieht, gibt
es die Order, dass jeder Mitarbeiter vier Weiterbildungstage im Jahr zur Verfügung hat. Im Führungskreis besteht Einigkeit,
dass besonders die Mitarbeiter gefördert werden, die sich engagiert einbringen, durch Top-Leistungen überzeugen und sich auch
um Fortbildung bemühen. Des Weiteren sprechen die Vorgesetzten ihre Mitarbeiter auf notwendige Weiterbildungsthemen an und
entsenden sie zu Seminaren.
Der traditionelle Höhepunkt des Jahres ist der Januar. Da erhalten die Mitarbeiter diverse Kataloge von bewährten Seminaranbietern
aus der Region, in denen zu günstigen Preisen fachliche und persönlichkeitsbildende ein- bis zweitägige Seminare zu finden
sind. »Stöbern Sie mal, was für Ihre tägliche Arbeit dabei ist«, heißt es dann stets vom Vorgesetzten. Denn der Mitarbeiter
weiß in der Regel genau, was er braucht und was ihn interessiert. Und wenn er sich selbst für etwas begeistern kann, dann
wird er es auch umsetzen, so die Einstellung. Die Interessenten werden von Frau Kümmerdich angemeldet. In diesem Jahr sind
es 50 Anmeldungen. Nach erfolgtem Seminarbesuch fragt sie einige Wochen später beim Vorgesetzten nach, ob »es was gebracht
hat«. Sie kreuzt dann in ihrer Liste »Ja« oder »Nein« an. Verfolgt man nur die letzten fünf Jahre, dann steht das Kreuz immer
beim »Ja«.
Die Mitarbeiter wissen, dass sich in einem Jahr viel tun kann. Plötzlich ist die Auftragslage doch nicht wie erwartet oder
ein Wettbewerber zwingt zur Kostensenkung. Dann werden die meisten |190| Seminaranmeldungen storniert. Es gab auch schon Jahre, da durfte man sich von vornherein nichts aussuchen, weil die Umsätze
stagnierten. In den letzten Monaten war dann manchmal überraschend doch wieder Budget da. Im April des Jahres steht diesmal
plötzlich eine Telefonschulung für Mitarbeiter mit Kundenkontakt an. Herr Nutz hat den Eindruck gewonnen, dass die Firma durch
ungeschicktes Telefonverhalten Aufträge verliert. Die Mitarbeiter sollen daher besser in die Lage versetzt werden, Anfragen
in Aufträge umzuwandeln. Ein Trainer für eine Inhouseschulung ist schnell gefunden. Es gibt zwei Trainingsgruppen mit je zehn
Teilnehmern. Es sind auch vier Mitarbeiterinnen dabei, die in Urlaubszeiten am Telefon aushelfen. Aber denen kann die Teilnahme
auch nicht schaden – wenn schon mal ein Trainer ins Haus kommt. In drei Monaten müssen die Damen ja auch wieder an die Front.
Von 9.00 bis 16.30 Uhr, inklusive 45 Minuten Mittagspause und zwei 15-minütigen Kaffeepausen, bringt der Trainer den Teilnehmern
ein paar grundsätzliche Regeln bei. »Wer fragt, der führt: Ermitteln Sie den Bedarf«, so klingelt es den Seminarteilnehmern
bald in den Ohren. Dann noch zwei Telefon-Fallbeispiele. Je zwei Teilnehmer werden gruppendynamisch genötigt, ein Telefon-Rollenspiel
zu einer typischen Alltagssituation vorzuführen, was dann besprochen wird. Dieser Praxisteil gefällt den
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