Die Welfenkaiserin
Berichte über Judiths ziemlich eintönigen Tagesablauf hatten ihm zu viel kostbare Zeit abgezogen. Ein paar Monate nach Giselas Geburt hatte er deswegen aufgehört, den Knaben regelmäßig zu befragen.
Nachdem Ludwig die Tür hinter sich zugezogen hatte, erhob sich Judith vom Bett. Rache, dachte sie, Rache. Bernhard ist des Todes! Frische Kraft strömte durch ihren Leib, als sie darüber nachsann, wen sie mit dem Mord an Bernhard beauftragen sollte. Ihre Brüder wollte sie in diese Angelegenheit nicht hineinziehen; infrage kam nur ein Mann, dem auch an Bernhards Tod gelegen sein könnte. Aber Lothar einzuweihen erschien ihr zu gefährlich. Er könnte sich mit seinem Wissen später gegen sie wenden. Judith griff zu ihrer Bürste und begann das inzwischen schon wieder fast hüftlange Haar zu bearbeiten, das sie sich in ihrer Raserei zerrauft hatte. Jetzt genoss sie beinahe die Pein, die ihr das Auseinanderzupfen verschlungener Stränge bereitete. Wie konnte es Bernhard wagen, sie, die Kaiserin, zu betrügen! Mit einer Frau, die vorgab, ihre beste Freundin zu sein! Und was erdreistete sich Irmingard, Lothar zu betrügen! Judith war auch wütend auf sich selbst. Weshalb nur hatte sie in Attigny diesen grauenhaften Mann wieder in ihr Bett gelassen!
Weil ich mich über Ludwig geärgert habe, gestand sie sich ein, als sie die Haarbürste auf den Tisch warf. Weil er meinen Ruadbern als Spitzel missbraucht hat. Weil ich voller Begierde war und Ludwig mir keine Lustschreie entlocken kann.
Während Ludwig in der Kirche von Attigny auf Knien seine Buße verrichtete, hatte sie sich fast die gesamte Zeit mit Bernhard in ihrem Bett gewälzt. Wie ekelhaft! Augenblicklich begann sie ihre Haare wieder so zu malträtieren, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wer sollte Bernhard töten? Nein, bestimmt nicht Lothar, der würde nur gefährliche Nachforschungen anstellen. Aber es gab einen anderen Mann, jemanden, dessen ehrgeizige Träume durch Irmingards schändliches Tun vereitelt werden konnten. Und dem Bernhard auf seinem Weg nach oben ohnehin ein Dorn im Auge war. Judith wusch sich das Gesicht, richtete Haar und Kleidung nun ruhiger und ließ Graf Hugo von Tours zu sich rufen.
Ohne Einleitung teilte sie ihm hoheitsvoll ihre Entdeckung mit und begründete dies mit der Sorge um die Ehe ihrer Freundin und seiner Tochter. Wie beiläufig setzte sie hinzu: »Bernhard bricht morgen früh nach Barcelona auf; eine sehr gefährliche Reise, zumal sie durch wilde Landstriche Aquitaniens führt, aus denen so mancher nicht zurückgekehrt ist.«
Mehr sagte sie nicht und musste sie auch nicht sagen. Vom Gemach der Kaiserin eilte Graf Hugo unverzüglich zu dem seiner Tochter. Er war außer sich, dass sie auf so dumme Weise die Arbeit vier langer Jahre gefährdete. Und er überlegte, weshalb ihm die Kaiserin diesen Auftrag erteilt haben mochte. Er nahm ihr nicht ab, dass es die reine Sorge um seine Tochter und deren Ehe war. Mordpläne wurden üblicherweise aus Habgier und Leidenschaft geschmiedet. Hier schien ihm nur ein Grund infrage zu kommen: Hatte seine Tochter etwa in Judiths Gefilden gewildert? Falls dem so war, war Graf Hugo davon überzeugt, diese Kenntnis irgendwann nutzbringend einsetzen zu können.
Die Tür zum Speisesaal flog auf. An den wartenden Possenreißern vorbei stürzte Lothar auf seinen Vater zu. Beinahe hätte er den Bediensteten, der dem Kaiser die Waschschüssel hinhielt, aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Harfenspieler verstummten.
»Du kommst spät und ungestüm«, rügte Ludwig.
»Mord!«, rief Lothar, ohne sich zu entschuldigen, und überfiel die Speisenden mit der Nachricht von der Hinrichtung der beiden päpstlichen Gesandten.
»Geblendet und geköpft wurden sie – nur weil sie sich mit mir angefreundet haben! Wir müssen sofort etwas unternehmen!«
Ludwig wusch sich in aller Ruhe ausgiebig die Hände. Er forderte seinen Sohn auf, sich zu setzen und ein Gebet zu sprechen. Auf seinen Wink begann zwar das Harfenspiel erneut, aber er bedeutete dem Seneschall, die Possenreißer fortzuschicken. Eine solche Botschaft verlangte Ernsthaftigkeit.
»Der Tod der Männer ist beklagenswert, aber es ist unvorstellbar, dass dies mit Wissen des Heiligen Vaters geschehen ist«, wiegelte Ludwig ab.
»Er soll den Mord höchstselbst angeordnet haben«, versetzte Lothar eindringlich, während er sich neben seiner Gemahlin auf die Bank fallen ließ. Er riss ein Stück gebratenes Gänsefleisch ab und legte es auf seinen
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