Die Welle
einer.
»Wir könnten ja gewinnen«, behauptete David. »Ich will nicht gerade sagen, dass wir am Samstag die Leute aus Clarkstown vom Platz fegen können, aber wenn wir endlich anfangen, eine Mannschaft zu sein, dann könnten wir in diesem Jahr auch ein paar Spiele gewinnen.«
Inzwischen war das Team fast vollzählig, und David merkte deutlich, dass ihm alle interessiert zuhörten.
»Okay«, sagte einer. »Was tun wir also?«
Einen Augenblick zögerte David noch. Die Welle war die Lösung. Aber wer sollte es den anderen sagen? Er selbstwusste doch auch erst seit gestern davon. Plötzlich spürte er, dass jemand ihn anstieß.
»Erzähl’s ihnen«, wisperte Eric. »Erzähl ihnen von der Welle!«
Verflixt, dachte David. »Also gut«, sagte er. »Ich weiß bloß, dass ihr erst einmal die Grundsätze lernen müsst. Und der Gruß, der geht so ...«
Am Abend erzählte Laurie Saunders ihren Eltern vom Geschichtsunterricht der letzten beiden Tage. Die Familie Saunders saß am Abendbrottisch. Fast während der ganzen Mahlzeit hatte der Vater in allen Einzelheiten von der 78er-Runde erzählt, die ihm heute auf dem Golfplatz gelungen war. Mr Saunders war Abteilungsleiter in einer großen Fabrik für Halbleiter. Seine Frau sagte, sie habe gegen die Golfleidenschaft ihres Mannes gar nichts einzuwenden, denn auf dem Golfplatz könne er sich am besten von allen Belastungen und Enttäuschungen seiner Arbeit befreien. Wie er das fertig bringe, könne sie zwar auch nicht erklären, aber solange er in guter Laune nach Hause käme, werde sie nichts gegen das Golfspiel sagen.
Der Meinung war Laurie auch, selbst wenn ihr die endlosen Golfberichte ihres Vaters manchmal sterbenslangweilig vorkamen. Die fröhliche Ausgeglichenheit des Vaters war ihr immer noch lieber als die ewigen Sorgen ihrer Mutter, die dabei wahrscheinlich die klügste und aufmerksamste Frau war, die Laurie kannte. Sie war es, die die Wählergemeinschaft der Frauen in Schwung hielt, und sie war politisch so gut informiert, dass hoffnungsvolle Politiker oft zu ihr kamen und sie um ihren Rat fragten.
Laurie fand ihre Mutter sehr lustig, solange alles gut ging. Sie steckte voller Ideen, und man konnte stundenlang mit ihr reden. Aber zu anderen Zeiten, wenn Laurie sich über irgendetwas aufregte, oder wenn sie ein Problem hatte, dann war diese Mutter eine Qual. Man konnte nichts vorihr verbergen. Und wenn Laurie erst zugegeben hatte, wo ihre Schwierigkeit lag, dann war es mit ihrer Ruhe endgültig vorbei.
Als Laurie am Abend von der Welle erzählte, geschah dies hauptsächlich deshalb, weil sie die Golferzählung ihres Vaters auch nicht eine Minute länger ertragen konnte. Sie sah genau, dass ihre Mutter sich ebenfalls langweilte. In der letzten Viertelstunde hatte Mrs Saunders mit dem Fingernagel einen Wachsfleck von der Tischdecke gekratzt.
»Es war einfach unglaublich«, erzählte Laurie. »Alle haben gegrüßt und die Grundsätze wiederholt. Man konnte gar nichts dagegen tun. Man wurde einfach mitgerissen, wollte einfach, dass es gut funktionierte. Und man spürte, wie sich allmählich eine gemeinsame Kraft entwickelte.«
Mrs Saunders kratzte nicht mehr am Tischtuch und sah ihre Tochter an. »Das gefällt mir nicht, Laurie. Es kommt mir so militaristisch vor.«
»Du siehst immer gleich alles von der schlechten Seite«, wandte ihre Tochter ein. »Damit hat es wirklich nichts zu tun. Ehrlich, du müsstest nur einmal dabei sein, dann würdest du merken, was da für ein positives Gefühl entsteht.« Mr Saunders stimmte ihr zu. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin für alles, was die Kinder dazu bringt, heutzutage überhaupt noch auf irgendetwas zu achten.«
»Das tut es wirklich«, versicherte Laurie. »Selbst die Schwachen sind dabei. Du kennst doch Robert Billings, den Versager der Klasse? Selbst er ist jetzt ein Teil der Gruppe. Keiner hat sich seit zwei Tagen mit ihm angelegt. Und das ist doch schon etwas Positives, oder?«
»Aber eigentlich solltet ihr doch Geschichte lernen und nicht, wie man Teil einer Gruppe wird«, wandte Mrs Saunders ein.
»Ach, weißt du«, sagte ihr Mann, »unser Land wurde schließlich von Menschen aufgebaut, die Teil einer Gruppe waren, von den Pilgervätern. Ich glaube, es ist gar nicht schlecht, wenn Laurie lernt, wie man gemeinsam arbeitet. Wenn es bei uns in der Fabrik ein bisschen mehr Kooperation gäbe und nicht nur diese ewigen Auseinandersetzungen und die ständige Besserwisserei, dann hätten wir in diesem Jahr
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