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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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los, die Schräge zum Strand hinunter, und ließ sie stehen.
    »Komm mit!«
    Jolly sah ihm einen Moment lang verwundert hinterher, dann setzte sie sich in Bewegung. Leichtfüßig rannte sie durch den weichen Sand. Als sie das Meer vor sich liegen sah, kehrte all ihre Kraft auf einen Schlag zurück. Der Anblick überwältigte sie heute mehr denn je: die grüngelbe Sichel der Bucht, dann die Zacken der Riffkette und dahinter das endlose Blau des Ozeans. Möwen schrien in den Lüften, und ein warmer Wind trug den Geruch der See und einen würzigen Salzgeschmack heran.
    Munk blieb erst stehen, als sie die leere Galionsfigur erreicht hatten, die seit drei Tagen unverändert im feuchten Sand vor der Brandungslinie lag. Jolly musterte den hölzernen Neptun und schauderte, als sie die Bissspuren der Haie entdeckte. Im selben Augenblick zog sich ihr Magen zusammen, und ihr wurde schlecht.
    »Was ist los?«, fragte Munk besorgt.
    Die Bilder kamen wieder: die Gesichter von Bannon und den anderen, Szenen an Bord der Mageren Maddy, Abenteuer, Gefahren, aber auch Geborgenheit an der Seite der Piraten. Das Lachen ihrer Freunde, die Mühe, die sich die meisten von ihnen gegeben hatten, aus dem dünnen, kleinen Mädchen, das Bannon wie eine Tochter behandelte, eine echte Piratin zu machen. Und dann natürlich die Erfolge, zu denen sie ihnen als Quappe verholfen hatte, das Lob, der Zuspruch, die Hochrufe.
    All das sollte jetzt vorbei sein. Nur Erinnerungen, die irgendwann mehr und mehr verblassen würden.
    »Nein«, flüsterte sie zu sich selbst, aber Munk hörte es.
    »Sie sind tot, Jolly. Es kann gar nicht anders sein.« »Du hast selbst gesagt, wenn jemand das Gegengift -«
    »Hier hat es aber keiner.«
    »Immerhin deine Mutter.«
    Munk holte tief Luft. »Es stammt vom Festland. Das sind mehr als tausend Meilen von hier. Außerdem brauchte man zwanzig oder dreißig Flaschen davon, um eine ganze Mannschaft zu retten. Wir haben gerade mal zwei.«
    Jolly ließ nicht locker. »Trotzdem könnte doch irgendjemand viel mehr davon haben, oder?«
    »Und warum sollte er es dafür . « - fast hätte er verschwenden gesagt - »… dazu benutzen, eine ganze Piratenmannschaft zu retten? Noch dazu Piraten, die er vermutlich gerade erst in eine Falle gelockt hat? Leute wie ihr seid nicht gerade besonders beliebt auf den Inseln.«
    Daran hatte sie selbst schon gedacht. Aber auf diese Weise ließ sich das alles nicht erklären.
    »Wenn deine Eltern an Bord gewesen wären«, sagte sie, »würdest du sie doch auch nicht einfach aufgeben, oder?«
    Munk hielt ihrem Blick ein paar Sekunden lang stand, dann zuckte er die Achseln. »Nein.«
    Jolly ließ sich im Sand neben der Galionsfigur nieder und strich ein letztes Mal mit den Fingerspitzen über das Holz, das einzige Erinnerungsstück an die Magere Maddy und ihre Freunde. Dann gab sie sich einen Ruck und stand ein wenig unschlüssig auf.
    »Ich zeig dir was«, sagte Munk in dem Bemühen, sie aufzumuntern. »Was weißt du über Muschelmagie?«
    »Nicht mehr, als dass die einen sagen, es gibt sie, und die anderen sagen, es gäbe sie nicht.« Ihre Gedanken waren immer noch in der Vergangenheit gefangen, sie hörte kaum, was er da redete; nicht einmal, was sie selbst darauf antwortete.
    Munk ließ sich nicht beirren. »Dann mach dich mal bereit für eine große Überraschung.«
    Sie sah ihn an. »Magie?«, fragte sie ein wenig verdutzt, und das Wort riss sie aus dem Nebel ihrer Trauer.
    »Magie«, bestätigte er und strahlte.
    Munk leerte den Inhalt seiner Ledertasche in den Sand. Es befanden sich, neben der Schachtel mit der Spinne, nur Muscheln darin, gepolstert mit Blättern und Stroh: Muscheln in allen Formen, Größen und Farben. Manche waren schlichte Gehäuse, die man an jedem Strand finden konnte; aber es gab auch welche, die in Farbtönen und Nuancen schillerten, wie Jolly sie nie zuvor gesehen hatte.
    »Sind die alle hier von der Insel?«, fragte sie verblüfft.
    Munk schüttelte den Kopf. »Nur ein paar, die einfachen. Die anderen haben mir die Kaufleute mitgebracht, vor allem der -«
    »Der Geisterhändler«, unterbrach sie ihn.
    »Ja.«
    »Wird Zeit, dass du mir von ihm erzählst.«
    »Du wirst ihn schon noch kennen lernen.«
    Die Muscheln schimmerten wie poliert. Jolly war neugieriger, als sie es sich eingestehen wollte. Muschelmagie war etwas, das sie aus Geschichten kannte, so wie Sterntaler, die vom Himmel fielen, oder die Riesenkraken in den Tiefen des Ozeans. Aber ihr war noch niemand

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