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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zur Zeit des Unglücks war es damit bereits vorbei, die Piraten hatten sich günstigere Häfen gesucht, Tortuga und später New Providence. ’92 war Port Royal eine heruntergekommene, aber immer noch große Stadt, und als das große Erdbeben sie heimsuchte, starben dabei mehr als zweitausend Menschen. Der Nordteil mit den meisten Docks rutschte ins Meer, und eine gigantische Flutwelle rollte über die Stadt hinweg. Das war eine der größten Katastrophen, die dieser Winkel der Welt gesehen hat, jedenfalls seit wir Europäer uns hier herumtreiben.«
    Er unterbrach seinen Bericht, um sich eine Pfeife anzuzünden. Jolly und Munk wechselten einen unsicheren Blick. Die Strafpredigt, die sie erwartet hatten, war ausgeblieben. Stattdessen hatte Munks Vater sie zur Farm geschickt und selbst den ganzen Nachmittag auf dem höchsten Punkt der Insel gestanden und das Meer beobachtet. Erst als er sicher gewesen war, dass der Kanonendonner keine Schiffe herbeigelockt hatte, war er zurück zum Haus gekommen und hatte sich zu ihnen auf die Veranda gesetzt. Er drohte nicht, er schimpfte nicht einmal, aber er machte ihnen eindringlich klar, dass sie größeres Glück gehabt hatten, als sie es, bei Gott, allesamt verdient hatten.
    Nachdem er einige Wolken aus seiner Pfeife gepafft hatte, setzte er seine Erzählung fort. »Alle hatten damals Angst vor weiteren Beben, und als keine kamen, war die Erleichterung groß. Niemand konnte ahnen, dass die Erschütterung noch etwas anderes freigesetzt hatte, etwas, das sich auf lange Sicht vielleicht als schlimmer erweisen könnte als der Tod all dieser Menschen.« Mürrisch rieb er sich die Stoppeln am Kinn. »Ich bin ein einfacher Mann, daraus mach ich keinen Hehl, und ich hab mir diese ganze Sache auch nur erklären lassen von schlaueren Köpfen, als ich einer bin.«
    Seine Frau schob ihre Hand über seine und schenkte ihm einen liebevollen Blick. Jolly wurde jetzt erst bewusst, wie sehr sich die beiden mochten.
    »Nun, jedenfalls ist es so, dass auf irgendeine Weise damals Magie freigesetzt wurde . Zauberkraft, Hokuspokus, wie auch immer man’s nennen will. Und aufgrund dieser Magie entstand das, was die Leute bald die Quappen nannten.«
    Eine Ohrfeige hätte Jolly nicht unvermuteter treffen können. Was wusste er über die Quappen? Sie war die letzte, hatte Bannon gesagt. Während der Tage auf der Insel hatte sie keinen Fuß aufs Wasser gesetzt, nicht einmal mit Munk hatte sie über ihre Fähigkeit gesprochen.
    Munks Mutter sah sie an und lächelte. »Wir wissen Bescheid, mein Kind. Du hast zwei Tage lang im Delirium vor dich hin geredet. Es war nicht schwer, zwei und zwei zusammenzuzählen. Du hast immer wieder davon gesprochen, dass du über das Wasser läufst . und von zwei Schiffen… und von den Spinnen.«
    »Außerdem hatte es sich herumgesprochen, dass Bannon eine Quappe an Bord hat«, sagte ihr Mann.
    »Im Grund wussten wir schon vorher, was du bist, aber als du dann von Bannon und der Mageren Maddy erzählt hast, war die Sache klar.«
    Jolly warf Munk einen fragenden Blick zu. Der nickte nur. Sogar er wusste Bescheid und hatte doch all die Tage nicht darüber gesprochen. Jetzt aber beugte er sich zu ihr vor. »Ich bin auch eine, Jolly. Ich bin eine Quappe wie du.« Ein unsicheres Lächeln stahl sich über seine Züge. »Und bis vor ein paar Tagen hab ich gedacht, ich wäre die letzte auf der ganzen Welt.«
    Jolly schluckte, ehe sie ihre Stimme wieder fand.
    »Das hab ich von mir auch geglaubt.«
    »Lasst mich weitererzählen«, sagte Munks Vater.
    »Die Quappen sind Kinder, die unmittelbar nach dem großen Erdbeben in Port Royal geboren wurden. Diese Magie, die damals aus den Rissen in der Erde aufstieg… irgendwie ist sie in euch Kinder gefahren, in die Neugeborenen. Und nur in solche, die ganz in der Nähe waren. Es gab keine Quappen auf Haiti oder Kuba oder hier auf den Bahamas. Nur auf Jamaika, und nur in Port Royal.
    Es dauerte noch zwei, drei Jahre, ehe bekannt wurde, dass es Kinder gab, die über das Wasser gehen konnten, und noch einige Jahre mehr, ehe man sicher war, dass das Erdbeben aus irgendeinem Grund die Ursache dafür war. Die Spanier ließen die ganze Sache untersuchen. Die Engländer, die Holländer, jeder stellte eigene Gruppen von Missionaren und Militärs und der Teufel weiß wem noch zusammen, die das Ganze erforschen sollten.« Verächtlich verzog er den Mund. »Bei ihren Experimenten kamen die ersten Quappen ums Leben. Aber dabei blieb es nicht. Verflucht

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