Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Uns irgendwo ein neues Versteck suchen.«
Ihr Sohn riss die Augen auf. »Und die Farm? Ihr könnt doch nicht -«
»Tausendmal lieber verliere ich die Farm als dich«, sagte sein Vater.
Jolly sank immer tiefer in sich zusammen. »Mir tut das alles so unendlich Leid. Wenn ich gewusst hätte . ich meine, dann .«
»Hättest du dich fangen lassen? Das ist Unfug. Woher solltest du wissen, dass du ausgerechnet hier landen würdest?« Der Farmer zog an seiner Pfeife, als helfe ihm das beim Nachdenken. »Vielleicht ist es ja ein Wink des Schicksals. Womöglich wollte Gott uns zeigen, dass wir unvorsichtig geworden sind.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Gott«, sagte Munk, »und schon gar nicht an das Schicksal.«
Sein Vater stieß ein brummiges Lachen aus. »Hast Recht, mein Junge. Wir sind ganz auf uns selbst gestellt. Was deine Mutter sagt, stimmt: Wir müssen die Insel verlassen.«
Jolly wandte sich an Munk. »Du hast doch gesagt, ihr habt kein Boot.«
»Haben wir auch nicht.«
»Wir können bei einem der Händler an Bord gehen«, sagte Munks Mutter. »Der nächste müsste in einer Woche auftauchen.«
»Der Geisterhändler kommt schon übermorgen!«, platzte Munk heraus.
»Wer weiß, mit wem der unter einer Decke steckt«, sagte sein Vater grimmig. »Er ist unheimlich, und ich traue ihm nicht über den Weg. Mag sein, dass er uns gleich an den erstbesten Piraten verschachert.«
»Zu mir ist er immer freundlich gewesen.«
Der Farmer nahm die Pfeife aus dem Mund und machte eine Geste, die unmissverständlich klarstellte, dass er in dieser Sache keine Einwände duldete.
»Wir fahren mit dem Holländer, nächste Woche. Er hat immer gut an uns verdient, ihm können wir trauen. Bis dahin müssen wir die Augen offen halten und die See beobachten.« Mit lautem Pochen klopfte er seine Pfeife aus. »Es ist jetzt an der Zeit für euch beide, schlafen zu gehen. Deine Mutter und ich haben noch einiges zu bereden.«
Jolly und Munk standen widerspruchslos auf und gingen mit unsicheren Blicken ins Haus.
Vor Jollys Zimmer blieb Munk stehen. »Was mein Vater da gesagt hat, dass niemand weiß, dass ich eine Quappe bin… das stimmt nicht ganz. Einer weiß Bescheid.«
Sie spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte.
»Lass mich raten.«
Er nickte schuldbewusst. »Ja… er.«
Der Geisterhändler
Wie angekündigt erschien der mysteriöse Besucher zwei Tage später auf der Insel. Er segelte allein auf einem winzigen Boot, das nicht aussah, als könnte es tatsächlich die weiten Distanzen zwischen den Inseln zurücklegen. Jolly musste nur einen Blick auf ihn werfen, um zu wissen, was Munks Vater gemeint hatte: Eher hätte sie einer Gossenratte auf Tortuga vertraut als der düsteren Gestalt, die mit dem Morgengrauen in dem kleinen Segelboot über das Meer kam und noch vor dem ersten Sonnenstrahl an Land ging.
Der Geisterhändler trug einen weiten Kapuzenmantel aus dunklem, grobem Stoff, der bis zum Boden reichte und seine Füße verbarg. Trotz der karibischen Hitze, die mit dem anbrechenden Tag heraufzog, hatte er die Kapuze hochgeschlagen. Unter dem Stoff konnte Jolly hagere Züge und wettergegerbte Haut erkennen. Ein schwarzes Band verlief schräg über Stirn und Wange und bedeckte sein blindes linkes Auge. Er hatte graue Bartstoppeln und erstaunlich weiße, beinahe strahlende Zähne, die nicht zu seiner abgerissenen Erscheinung passten.
Am ungewöhnlichsten aber waren die beiden pechschwarzen Papageien, die auf seinen Schultern saßen, einer mit gelben, einer mit feuerroten Augen.
»Das sind Hugh und Moe«, flüsterte Munk, während er mit Jolly dem Geisterhändler entgegenging.
»Er hat sie immer dabei und redet mit ihnen.«
»Können die beiden auch sprechen?«
»Er behauptet, ja.«
Der rätselhafte Mann kam erst jetzt in Hörweite, doch Jolly erschien es, als hätte er sie bereits die ganze Zeit über belauscht, denn ein wissendes Lächeln spielte um seine schmalen, farblosen Lippen.
»Guten Tag, Munk«, sagte er und deutete eine Verbeugung an, die seine Papageien merkwürdigerweise nachvollzogen. »Gegrüßt seist du und alle, die auf dieser Insel leben.« Sein gesundes Auge richtete sich in leuchtendem Hellblau auf Jolly. »Du hast Besuch, wie ich sehe.«
»Das ist Jolly. Sie ist eine Schiffbrüchige.«
»Jolly, so, so.« Der Geisterhändler nickte auch ihr zu. »Ein ungewöhnlicher Name für ein Mädchen. Ich dachte, die Piraten nennen so nur ihre Flaggen.«
Sie hätte abstreiten können, dass sie mit
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