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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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konnten wie Berserker, war das Kreischen vorhin doch etwas anderes gewesen: hundertmal lauter als jeder Klabauterschrei, den Jolly bislang gehört hatte, und tausendmal zorniger.
    Ihr ging allmählich die Luft aus, während Munk immer noch mit einer Entschlossenheit weiterlief, die aus der Furcht um seine Eltern geboren war. Auch sie hatte Angst, aber sie beide würde bald die Kraft verlassen, wenn sie so weiterrannten.
    »Munk . Es hat keinen Zweck, wenn wir . wenn wir völlig erschöpft auf der Insel ankommen . Damit ist doch keinem geholfen.« Was immer den Schrei ausgestoßen hatte, würde es mühelos mit zwei völlig entkräfteten Vierzehnjährigen aufnehmen.
    Aber Munk hörte nicht auf sie.
    »Munk, verdammt noch mal!« Sie packte ihn im Laufen an der Schulter.
    Wutentbrannt fuhr er herum, so zornig, dass sie vor ihm zurückschrak. Das war nicht der Munk, den sie in den letzten Tagen kennen gelernt hatte. Angst und Zorn verzerrten seine Züge, und in seinen Augen lag eine Entschlossenheit, die Jolly einen Schauer über den Rücken jagte. »Das sind meine Eltern, Jolly! Ich tue, was ich für richtig halte!« Aus seiner Stimme sprach Erschöpfung, aber er hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle.
    Sie wollte etwas sagen, aber er rannte schon weiter, ließ sie einfach stehen. Jolly fluchte leise, krümmte sich vor Seitenstechen, dann biss sie die Zähne aufeinander und folgte ihm. Bald liefen sie erneut auf einer Höhe.
    Das Kreischen ertönte ein zweites Mal, und diesmal explodierte der Vogelschwarm über der Insel wie eine schillernde Fontäne in alle Richtungen. Schüsse krachten, zwei hintereinander, dann, nach einer Pause, ein dritter.
    Jolly sah zu Munk hinüber, aber sein Gesicht war wie versteinert. Schweiß perlte über seine Stirn und seine Wangen, sein Nacken glänzte, aber er lief vorwärts wie ein Schiff unter vollen Segeln, das nichts und niemand aufhalten konnte.
    Sie umrundeten die Riffs, überquerten das seichte Halbrund der Bucht und stolperten endlich an Land. Als Munks Füße den Boden berührten, blieb er für einen Augenblick stehen. Überall am Strand lagen tote Fische, ausgestreut wie Saatgut, das ein Riese im Vorbeizug über die Insel geworfen hatte. In der Sonne begannen die Kadaver bereits zu faulen, ihr Odem hing wie eine Glocke über dem Eiland.
    Der Gestank des Todes. Trotz der Hitze und ihrer Erschöpfung begann Jolly zu frieren. Ihre Arme waren zugleich mit Schweiß und einer Gänsehaut überzogen.
    Munk schloss für ein paar Herzschläge die Augen.
    »Du kannst ihnen nicht helfen… wenn du… dich selbst umbringst«, keuchte Jolly. »Wir müssen erst rausfinden, was es ist .«
    »Ja«, sagte er grimmig. »Indem wir es uns ansehen.«
    Und wieder lief er los, dem Rand des Dschungels entgegen und bald durch den feuchtwarmen Schatten der Bäume. Jollys Atem rasselte, als sie ihn einholte. Sie hatte ihren schmalen Dolch gezogen, den sie schon beim Angriff auf die vermeintlichen Spanier getragen hatte; jetzt kam er ihr lächerlich vor angesichts dessen, was sie sich beim Klang des Kreischens in ihrer Fantasie ausmalte.
    Sie stolperten durch dichtes Buschwerk - und standen plötzlich auf einer schmalen, lang gezogenen Lichtung.
    Munk entfuhr ein erstickter Laut.
    Um sie herum hatte etwas den Dschungel niedergewalzt. Haushohe Mahagonistämme waren abgeknickt oder entwurzelt, Riesenfarne und Hibiskusbüsche völlig zermalmt. Und über allem lag ein Teppich toter Fische.
    Am Himmel schrien die Vögel so laut, dass es in Jollys Ohren schmerzte.
    »Sie sind noch alle in der Luft«, sagte sie leise.
    Munk sah sie an. »Was meinst du?«
    »Sie kommen nicht auf den Boden zurück. Nicht mal, um die Fische zu fressen. Und sie schreien vor Aufregung. Das heißt, dass -«
    Munks Lippen waren blutleer. »Dass es noch immer hier ist.«
    Sie liefen los, jetzt beide gleichzeitig, und folgten dem Verlauf der Schneise. Bald wurde auch Jolly klar, wohin sie führte.
    Etwas war durch den Palisadenzaun gebrochen wie durch eine Bastwand. Angespitzte Baumstämme lagen verstreut in allen Richtungen. Manche waren mit solcher Gewalt beiseite geschleudert worden, dass sie sich wie übergroße Pfeile in den Boden gebohrt hatten und nun dastanden wie die heidnischen Totems mancher Insulanerstämme.
    »Mum! Dad!« Munk sprang über Trümmer hinweg und lief auf das zerstörte Haus zu.
    Das Vordach über der Veranda war in einem Stück fortgerissen worden und lag ein paar Schritt entfernt im braunen Gras. Der Tisch

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