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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ausgerechnet eine Piratin.«
    »Hat er dir jemals irgendwas von diesem Nebel erzählt?«
    »Vielleicht wusste er vorher gar nichts davon.«
    Munks Widerspruch klang halbherzig.
    »Und deshalb segelt er genau darauf zu? Jeder halbwegs vernünftige Seemann in solch einem Boot würde einen Riesenbogen um diese Nebelbank machen.«
    Munk sagte nichts mehr. Es passte ihm nicht, dass sie seinem Freund misstraute, aber noch weniger schien ihm zu gefallen, was er da vor sich sah. Jolly war nicht sicher, ob er ihren Argwohn teilte; ganz bestimmt aber wunderte er sich.
    Das Boot des Geisterhändlers hielt immer noch geradewegs auf den Nebel zu. Bald schon griffen weiße Schwadenfinger nach Segel und Rumpf. Der Geisterhändler war als winzige Gestalt zu erkennen, die kerzengerade am Heck stand.
    Munk hielt mühsam mit Jolly Schritt. »Du willst doch nicht hinterher, oder?«
    »Wie sollen wir sonst die Wahrheit rausfinden?«
    »Vielleicht gibt es gar keine Wahrheit. Vielleicht ist das da vorne ganz normaler Nebel.«
    Sie schenkte ihm einen ätzenden Blick und verzichtete auf eine Erwiderung.
    Das Boot war jetzt nahezu verschwunden, nur ein dunkler Fleck verriet vage seine Position.
    Jolly fluchte. »Wir verlieren ihn da drin, wenn wir uns nicht beeilen.«
    Munk konnte nicht schneller laufen, das wusste sie - er hatte zu wenig Erfahrung mit diesem Seegang, die Wogen würden ihn hin und her werfen wie ein Spielzeug. »Lauf voran«, sagte er. »Ich komm schon klar.«
    »Wir bleiben zusammen«, widersprach sie. »Alles andere ist zu gefährlich.«
    Munk versuchte noch einmal, seine Geschwindigkeit zu erhöhen, aber das Ergebnis war, dass er stolperte. Im letzten Moment fing er sich mit beiden Händen, sprang fluchend wieder auf und lief weiter.
    Der Nebel hatte das Boot jetzt endgültig verschluckt. Jolly hoffte, dass der Geisterhändler seinen Kurs beibehielt. So konnten sie ihm auf der Spur bleiben, wenn sie nur schnurstracks geradeaus liefen.
    Die Dunstwand lag wie eine wabernde Masse auf dem Meer, vierzig oder fünfzig Schritt breit und so hoch wie der Mast eines Kriegsschiffes. Ihre vorderen Schwaden wehten Jolly und Munk entgegen. Nach der sengenden Sonne der vergangenen Stunde fühlten sie sich angenehm kühl auf der Haut an.
    Jolly hielt instinktiv die Luft an, als sie ins Innere des Nebels vorstießen. Eine unnatürliche Stille breitete sich um sie herum aus. Sie fühlte sich seltsam bedrängt von den weißen Wänden, die rund um sie emporwuchsen. Munk lief als grauer Umriss neben ihr, aber sie wagte nicht, ihn anzusprechen, aus Sorge, der Geisterhändler könnte ganz in der Nähe sein und sie hören.
    Sie waren keine fünfzehn Schritte durch den Nebel gelaufen, als die Sicht schlagartig aufklarte. Bald erkannten sie den Grund: Der Dunstwall war keine kompakte Masse, sondern ein Ring, der etwas in seinem Zentrum verbarg.
    Jolly stockte der Atem. Sie und Munk blieben gleichzeitig stehen.
    Vor ihnen erhob sich eine Galeone.
    Das Schiff lag mit knarrender Takelage inmitten einer Lichtung im Nebel. Sein Kielwasser plätscherte hell und gläsern wie in einem Hafenbecken; hier draußen klangen die Laute falsch und unwirklich.
    Der Rumpf der Galeone bestand aus dunklem Holz. Oberhalb der Wasserlinie hatte sich eine Wulst aus Algen und Muscheln festgesetzt. Die Segel der drei hohen Masten waren grau und zerschlissen, nicht einmal der nachlässigste Kapitän würde so etwas durchgehen lassen. Aber Jolly bezweifelte ohnehin, dass es einen Kapitän an Bord dieses Schiffes gab. Ebenso wenig wie eine Mannschaft.
    »Ist es das, was ich denke?« Munks Stimme bebte.
    »Ja«, sagte sie, »dein Geisterhändler hat genau den Kahn, der zu ihm passt.«
    »Und ich dachte, es gibt keine Geisterschiffe.«
    Sie sah ihn schief an. »Ich dachte, es gibt keine Geister.«
    Widerstrebend bewegten sie sich vorwärts, verließen endgültig den Nebel und traten ins Licht des blauen Himmels. Aber nicht einmal er vermochte ihre düstere Stimmung zu heben. Das Geisterschiff zog all ihre Aufmerksamkeit auf sich.
    »Es sind Klabauter im Wasser!«, rief mit einem Mal die Stimme des Geisterhändlers, noch bevor Jolly ihn entdeckte. Munk machte eine Kopfbewegung zum Heckaufbau der Galeone. Der Händler hatte beide Hände auf die Reling gelegt und blickte ihnen mit aufgeblähtem Gewand entgegen. Unter dem offenen Umhang konnte Jolly den Silberreif an seinem Gürtel erkennen. Sein dunkel gekleideter Körper war kräftiger, als sie aufgrund seiner hageren Züge

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