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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aus dem kleinen Fenster abzustoßen. Aber auch sie kam heil an und suchte hektisch mit Händen und Füßen nach Halt. Sie drohte abzurutschen, als Jolly sie blitzschnell am Arm packte.
    Augenblicke später liefen sie gebückt über den Dachfirst.
    Kenndricks Geschrei verfolgte sie ins Freie. »Sie sind durchs Fenster, ihr stinkenden Seeschnecken! Lauft runter und schnappt sie euch! . Herrgott, bin ich denn nur von weichgekochten Quallenhirnen umgeben?«
    Sogleich ertönte wieder das Poltern im Treppenhaus -zumindest ein Teil seiner Männer war auf dem Weg nach unten. Schon durchbrachen Schatten den Lichtstreif auf dem Hof.
    »Hier entlang!« Jolly zeigte auf das Hinterhaus der Taverne, das die beiden seitlichen Anbauten verband.
    »An der Rückseite hängt das Seil, mit dem ich aufs Dach geklettert bin.«
    Sie erreichten es gerade in dem Augenblick, als im Hof unten großes Geschrei anhob. Einer von Kenndricks Männern hatte sie auf dem Dachfirst entdeckt, kurz bevor sie an der rückwärtigen Schräge hinabgeschlittert waren. Pistolenhähne wurden gespannt, dann pfiffen die ersten Kugeln durchs Dunkel.
    »Schnell!« Jollys Hände brannten wie Feuer, als sie an dem groben Hanfseil abwärts rutschte. Schimpfend kam sie am Boden auf und sprang zur Seite, um Soledad auszuweichen.
    Seite an Seite rannten sie los. Bald schon übernahm die Piratenprinzessin die Führung, da sie die Gassen und Winkel des Steinviertels besser kannte als Jolly. Sie liefen durch Torbögen und unter behelfsmäßigen Brücken hindurch, die einige der höheren Bauten verbanden; sie überquerten kleine Plätze, auf denen selbst nach Mitternacht der Trubel orientalischer Basare herrschte; sie schoben sich durch Gassen, die für ihre schmalen Schultern fast zu eng waren, und kletterten über Berge aus Abfällen, einmal sogar über einen Haufen murrender Betrunkener, die ein Wirt aus seiner Taverne geworfen hatte.
    Dann, nach endlosen Minuten, blieb Soledad stehen.
    »Sie haben unsere Spur verloren«, sagte sie schnaufend, »sonst hätten sie uns schon eingeholt.«
    Jolly presste beide Hände in die Seiten. Ihr Hals brannte vor Erschöpfung. »Wie weit ist es von hier bis zum Hafen?«
    Die Prinzessin zupfte ohne viel Erfolg ihr dünnes Kleid zurecht, dann deutete sie nach links. »Lauf in diese Richtung, dann ist es nur noch ein Katzensprung. Aber halte dich von allen offenen Plätzen fern.«
    Jolly überlegte einen Moment. »Du könntest mitkommen. Ich habe Freunde am Hafen und ein Boot, vielleicht kannst du -«
    »Nein.« Soledads Tonfall klang endgültig. »Ich brauche niemanden, um das zu bekommen, was ich will.«
    »Kenndricks Kopf?« Jolly lächelte dünn. »Sieht eher so aus, als hätten wir beide nicht das bekommen, was wir wollten.«
    »Weil du mich davon abgehalten hast.«
    »Und du mich.«
    Sie sahen einander einen Moment lang schweigend an, dann zuckte Soledad die Achseln. Mit einer flüchtigen Handbewegung schob sie sich rote Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ein andermal. Kenndrick läuft mir nicht davon.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu:
    »Du hast mir da oben auf dem Dach das Leben gerettet. Danke.«
    Jolly lächelte. »Was willst du jetzt tun? Er wird uns suchen lassen.«
    »Erst mal muss ich aus diesen entsetzlichen Fetzen rauskommen.« Abermals rupfte sie vergeblich an den verhedderten Trägern und Bändern ihres Kleides.
    »Danach seh ich weiter.«
    »Du hast immer noch vor, deinen Vater zu rächen?«
    »Natürlich.«
    Jolly seufzte, schließlich nickte sie. »Dann viel Glück dabei.«
    »Wenn du einen Rat willst: Verschwinde von New Providence, am besten sofort.«
    »Ich habe keine Angst vor Kenndrick.«
    Soledad lächelte, und zum ersten Mal wirkte es beinahe freundlich. »Nein, wohl kaum… Trotzdem, die Spanier werden angreifen, vielleicht noch heute Nacht.«
    »Heute Nacht? Kenndrick hat doch -«
    »Er ist ein Narr. Ein weiterer Grund, weshalb er es nicht verdient hat, Anführer der Piraten zu sein. Er glaubt tatsächlich, seine Männer hätten solche Angst vor ihm, dass sie die Bestechungsgelder der spanischen Spione ausschlagen. Dabei wimmelt es hier nur so von Verrätern.«
    Jolly erinnerte sich an das, was Soledad im Gasthof gesagt hatte. »Du meinst, die Wachtposten auf den Bergen sind gekauft? Von den Spaniern?«
    »Ganz bestimmt sogar. Würde Kenndrick mehr auf das hören, was um ihn herum geschieht, hätte er das längst erkannt. Halb Port Nassau und die ganze Karibik reden davon, dass der Angriff der Armada

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