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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Karibik. Jeder hoffte, seine Kolonien in Übersee auszubauen, neue und fruchtbare Inseln zu erobern und die Goldminen und Gewürzplantagen auf dem Festland in seine Gewalt zu bringen. Der Angriff auf Port Nassau mochte nach außen hin eine Vergeltungsaktion der spanischen Krone gegen die zahllosen Übergriffe der Piraten auf ihre Handelsschiffe sein; in Wahrheit aber stand auch der Wunsch dahinter, die Statthalter des Britischen Empires von den Bahamas zu vergraulen.
    Die lockere Aufstellung der Kriegsschiffe ermöglichte es Walker, ohne große Mühe den Belagerungsring zu durchbrechen. Die Geister an den Kanonen der Carfax feuerten keinen einzigen Schuss ab, die Flucht gelang ohne Gegenwehr. Im Schutz der hektisch umherrudernden Rettungsboote gelangten sie in den Rücken der spanischen Flotte und waren bald auf offener See. Ein spanischer Kapitän sandte ihnen eine Breitseite hinterher, wagte dies jedoch erst, als sie die Schiffbrüchigen weit hinter sich gelassen hatten - da aber war es bereits zu spät. Keine einzige Kugel traf ins Ziel.
    »Warum folgen sie uns nicht?«, fragte Munk erstaunt, als er über die Reling zurück zum Inferno vor der Inselküste blickte. Pulverdampf zog in gelben Nebelschlieren über die See. Solange die Mündungen nicht in ihre Richtung wiesen, klang das dumpfe Krachen der Kanonen seltsam unwirklich - wie ein Gewitter, das in großer Ferne vorüberzog.
    »Es geht ihnen nicht darum, jedes einzelne Schiff aufzubringen«, sagte Soledad. »Port Nassau ist ihnen als Hauptstadt der Piraten ein Dorn im Auge. Erst haben sie Tortuga von Freibeutern bereinigt - wenigstens von den meisten -, jetzt New Providence. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ihnen das wirklich gelingt, es sei denn sie richteten eine ständige Garnison ein.«
    »Was sie wiederum nicht wagen werden«, setzte Jolly nickend hinzu, »weil New Providence Kolonialgebiet der Engländer ist und die Spanier mit einer offenen Übernahme der Insel einen Krieg heraufbeschwören könnten.«
    Munk schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber sie greifen die Insel doch an. Da fehlt nicht mehr viel zu einer Eroberung.«
    Soledad gähnte und lächelte nachsichtig. »Sie werden den Angriff als Strafexpedition gegen die Piraten ausgeben, nicht als Attacke gegen England. Sollten die Engländer dem widersprechen, würden sie sich in den Ruf bringen, die Piraterie zu begünstigen, was ganz sicher nicht in ihrem Interesse liegt.«
    »Das heißt«, sagte Munk, »die Spanier werden Port Nassau in Grund und Boden schießen, dann abdrehen und wieder verschwinden.«
    »Genau.«
    Jolly sah unverwandt zu dem schmalen Ring aus Rauch und Feuer hinüber, der unter dem Sternenhimmel den nächtlichen Horizont erhellte. Mittlerweile mussten knapp zehn Meilen zwischen dem Schiff und der Insel liegen, aber noch immer hing der Gestank der Brände und des Pulvers in der Luft; die Carfax zog ihn wie eine Schleppe hinter sich her. »Die Engländer werden einen neuen Gouverneur schicken«, sagte sie, »die Festung wird aus den Trümmern aufgebaut, und in einem halben Jahr ist alles so wie zuvor.«
    Soledad machte ein verbissenes Gesicht. »Ich hoffe, zumindest Kenndrick hat es erwischt.«
    »Wir sind nicht das einzige Schiff, das den Ring der Spanier durchbrochen hat«, sagte Munk. »Ich habe noch zwei andere gesehen, eines war kurz hinter uns, hat dann aber abgedreht.«
    »Falls der Bastard an Bord war, finde ich ihn.«
    Jolly blickte zum Mast hinauf, wo die Geister auf Walkers Befehl hin eine englische Flagge hissten. Wie auf jedem Piratenschiff gab es auch auf diesem eine ganze Auswahl von Flaggen aller Nationen, außerdem natürlich jene, nach der Jolly benannt worden war: der Jolly Roger , das schwarze Totenkopfemblem der Freibeuter. Allerdings wurde die Piratenflagge erst kurz vor einem Angriff aufgezogen, wenn dem Gegner keine Möglichkeit zur Flucht blieb.
    Soledad lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Kiste, zog die Knie an und schloss für einen Moment die Augen. Unter ihrem Kapuzenumhang trug sie nicht mehr das Kleid, in dem Jolly sie in der Fetten Henne getroffen hatte, sondern Hose, Hemd und einen breiten Waffengurt, in dem ein halbes Dutzend Wurfmesser steckte. Einen Säbel hatte sie nicht dabei, obwohl Jolly darauf gewettet hätte, dass sie sich trefflich auf den Umgang mit jeder Art von Klinge verstand. Wenn nur die Hälfte von dem, was man sich auf den Inseln über Scarabs Tochter erzählte, der Wahrheit entsprach, war sie eine bessere Kämpferin

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