Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
verloren habe, muss vorgehabt haben, sie zu verschiffen.«
Jolly verließ die Treppe und gesellte sich zu Munk, während Walker fluchend und stöhnend in die Tiefe stieg. Aber schon nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder zurück.
»Widerlich. Das auf meinem Schiff! Es wird Monate dauern, da unten durchzulüften.«
»Wird uns ihr Gewicht sehr aufhalten?«
Walker zuckte die Achseln. »Jedenfalls wären wir ohne sie um einiges schneller.« Er dachte kurz nach.
»Wir könnten sie über Bord treiben.«
Jolly fuhr erschrocken hoch. »Auf gar keinen Fall!«
Walker rieb sich das Kinn. »Besser sie als wir, würde ich sagen.«
Munk kam Jolly zur Hilfe. »Wir werden ja nicht mal verfolgt. Sie halten uns nicht auf.«
»Noch nicht«, sagte Walker.
Die Vorstellung, der Pirat könnte die wehrlosen Tiere ins Wasser treiben, entsetzte Jolly zutiefst. Zudem bestätigte er damit alle ihre Vorurteile. »Die Tiere bleiben an Bord!«, sagte sie fest.
Walker kratzte sich am Hinterkopf. »Nun, das macht sie zu Passagieren, nicht wahr?«
Jolly sog tief die Luft ein. Sie hatte das Gefühl, gleich platzen zu müssen.
»Wenn ihr darauf besteht, dass sie bleiben«, sprach Walker weiter, »dann müsst ihr wohl oder übel auch für ihre Überfahrt bezahlen, nicht nur für eure.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!« Jolly musste sich zügeln, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen.
»Papperlapapp! Es gibt Regeln an Bord. Eine ist die, dass für den Transport von Passagieren bezahlt werden muss. Und wenn du möchtest, dass diese Schweine unsere Fahrt mitmachen, musst du den Preis dafür zahlen.«
»Ich habe dir einen ganzen Schatz versprochen!«
Er überlegte. »Es musste schon ein recht großer Schatz sein.«
»Das ist er, verdammt noch mal!«
»Wie groß?«
»Er . er . « Jolly brachte vor lauter Wut keinen zusammenhängenden Satz heraus.
Im selben Moment kam ihr Soledad zur Hilfe. »Walker!«
Der Pirat drehte sich zu ihr um.
»Du weißt, wer ich bin, oder?«
Er nickte. »Dein Vater war ein guter…
Geschäftsfreund.«
»Du hast ihn betrogen.«
»Oh, das … Nur ein kleines Missverständnis.«
»Eine ganze Schiffsladung Rum. Er hat geschworen, dir den Kopf dafür abzuschlagen.«
»Gott hab ihn selig. Er war trotz allem ein gerechter Mann.«
»Du hattest Schulden bei ihm. Und nun, da er tot ist, bei mir. Wie viele Dukaten sind all diese Fässer Rum wert gewesen, Walker? Hundert? Fünfhundert?«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich sehe schon… Die Schweine können bleiben. Aber damit sind wir quitt.«
Soledad tat etwas, das Jolly ganz und gar schrecklich fand, aber die Wirkung war enorm: Sie trat vor, hauchte Walker einen Kuss auf die Wange, zwinkerte ihm zu und flüsterte: »Es gibt eben doch noch Ehrlichkeit unter uns Piraten, nicht wahr?«
Walker strahlte von einem Ohr zum anderen, kratzte sich verlegen im Nacken, räusperte sich, murmelte Jolly ein »Nichts für ungut« zu und stiefelte wieder hinauf auf die Brücke.
Jolly platzte der Kragen. »So ein widerlicher, schäbiger, hinterhältiger -«
»Glaubst du, er küsst gut?« Soledad blickte Walker hinterher.
»Was?«
Soledad lachte, und diesmal fiel Munk mit ein. Jolly starrte finster von einem zum anderen. »Kann es sein, dass mich hier keiner ernst nimmt?«
Soledad und Munk lachten nur noch lauter.
Am nächsten Morgen berieten sie sich in der Kapitänskajüte.
Walker hatte hinter einem breiten Tisch Platz genommen. Durch die Butzenfenster in seinem Rücken fiel der Schein der Morgensonne. Den einzigen weiteren Sitzplatz hatte Soledad in Beschlag genommen.
Jolly und Munk lehnten mit verschränkten Armen an den Wänden.
»Bis Tortuga werden wir etwa vier Tage brauchen«, sagte Walker. »Das heißt, wenn wir guten Wind haben und uns kein Spanier oder sonst wer in die Quere kommt. Wir werden die Bahamas nordöstlich umsegeln. Das Wetter wird auf dem offenen Atlantik ein wenig rauer sein, aber vielleicht hilft es uns, schneller vorwärts zu kommen. Dann geht es durch die Caicos-Passage nach Süden, geradewegs nach Tortuga.«
Mehrere Seekarten, vergilbt und rissig von vielen Jahren intensiver Nutzung, lagen offen oder halb entrollt auf dem breiten Pult. Manche waren an den Ecken beschwert mit den unterschiedlichsten Gegenständen: einer Pistole, filigranen Navigationsinstrumenten, einer Hand voll Zinnfiguren, einem Schrumpfkopf (zu faltig, als dass man mit Bestimmtheit hätte sagen können, ob er einem Europäer oder Eingeborenen gehört hatte),
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