Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
Seeräuber, der es wie kaum ein Zweiter verstand, ein Schiff zu führen. Walker war vor allem aus einem Grund hier: Er spekulierte auf Gold, das ihm der Geisterhändler und Jolly versprochen hatten.
Siedend heiß fiel ihr ein, dass Walker immer noch glauben musste, die halb fertige Tätowierung auf ihrem Rücken sei Teil einer Schatzkarte. Jolly hatte ihm diesen Bären aufgebunden, um ihn für ihre Suche nach Bannon zu gewinnen.
Allerdings hatte Walker auch noch ein zweites Motiv: Er hoffte, die Zuneigung der Prinzessin zu gewinnen, und sie war offenbar gewillt, ihn nicht von vornherein abzuweisen - ob aus ehrlichen Gefühlen für den Captain oder aber um sich seine Unterstützung zu sichern, war Jolly noch immer ein Rätsel.
Zuletzt der Geisterhändler, der jetzt am Kopfende der Tafel neben einem Mann stand, der die Kleidung eines europäischen Adeligen trug, nicht prunkvoll, aber aus edlen Stoffen. Sein Umhang war ähnlich bestickt wie Jollys neue Weste, und sie fragte sich, ob diese Übereinstimmung vielleicht eine tiefere Bedeutung hatte.
Wurde sie als Quappe so hoch geschätzt, dass sie ähnliche Symbole wie die Herrscher dieser Stadt tragen durfte? Sie fühlte sich geschmeichelt, auch wenn sie wusste, wie unvernünftig das war.
Der Geisterhändler war von allen Anwesenden gewiss der undurchschaubarste. Er war ein lebendes Mysterium, ein Mann, der mal freundlich, fast väterlich sein konnte, dann wieder kühl und berechnend, wenn es seinen geheimnisvollen Zielen diente. Er war der einzige der Freunde, der keine neue Kleidung angelegt hatte: Wie üblich trug er sein bodenlanges Gewand aus dunklem Stoff, hatte aber seine Kapuze zurückgeschlagen und zeigte offen sein hageres Haupt. Die schmallippigen Züge und das stechend dunkle Auge trugen ihren Teil dazu bei, ihn unheimlicher erscheinen zu lassen, als er in Wahrheit vielleicht war. Auf seinen Schultern saßen die schwarzen Papageien Hugh und Moe und ahmten auf irritierende Art und Weise jede seiner Kopfbewegungen nach.
Jolly wandte sich Griffin und Buenaventure zu, die jetzt neben ihr standen, als warteten sie auf eine Anweisung oder einen Ratschlag. Die beiden fühlten sich in dieser merkwürdigen Versammlung anscheinend ebenso unwohl und deplatziert wie sie selbst.
Sie hatten kaum ein paar Worte miteinander gewechselt, als das Tor in ihrem Rücken abermals aufschwang und Munk hereinkam.
Er trug eine langärmelige dunkle Jacke mit Silberstickereien, die jenen auf Jollys Weste und denen auf der Kleidung des Edelmanns am Tafelende glichen. Munk stützte einen greisen Alten in einem langen Gewand, der als zusätzliche Hilfe einen Stab zum Gehen benutzte. Dies musste Urvater sein, der Lehrmeister der Quappen.
Munk schenkte Jolly ein Lächeln, doch noch bevor sie es erwidern konnte, ertönte aus den Tiefen der Halle ein Gongschlag. Alle Gespräche erstarben.
»Bitte, meine Freunde, nehmt Platz«, wandte sich der Edelmann am Tafelende an die Umstehenden.
»Wir sind vollzählig, nachdem unsere beiden Quappen eingetroffen sind.«
Alle Blicke richteten sich auf Jolly und Munk. Urvater stieß ein leises, zufriedenes Grummeln aus. Einige der Männer und Frauen raunten verstohlen miteinander. Erneut kamen ihr Zweifel: Niemals würde sie den Erwartungen dieser Menschen gerecht werden können.
Jene, die noch nicht saßen, strömten zur Tafel. Munk steuerte auf den Platz rechts neben Jolly zu, aber weil er Urvater am Arm führte, kam Griffin ihm zuvor. Buenaventure ließ sich an ihrer linken Seite nieder.
Munk platzierte den Alten mürrisch auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches und setzte sich neben ihn. Jolly kreuzte Urvaters Blick und lächelte nervös, als er ihr zunickte. Seine faltigen Züge wirkten still und entspannt, er strahlte eine Ruhe aus, die ihr gut tat.
Walker nahm den Stuhl neben Buenaventure, sah dann in Soledads Richtung und deutete fragend auf den freien Platz neben sich. Die Prinzessin zwinkerte ihm zu, setzte sich aber zwischen zwei Frauen, die sie stirnrunzelnd begutachteten. Unter den Edlen Aeleniums war man den Umgang mit Piraten offenbar nicht gewohnt.
Der Edelmann am Tafelende wartete, bis alle saßen, dann ergriff er abermals das Wort. »Ich bin Graf Aristoteles Constanopulus. Mein Großvater kam vor vielen Jahren mit einer Schiffsflotte aus Griechenland nach Aelenium. Er durfte bleiben und wurde in die Geheimnisse dieser Stadt eingeweiht. Der Rat wählte ihn zum Obersten, und nach ihm wurde meinem Vater diese Ehre zuteil.
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