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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Persönliches. Es gab keinen festen Zauber, den jedermann benutzen konnte, keine festgeschriebenen Beschwörungsformeln. Zauberbücher und magische Schriftrollen? Alles Unfug. Jeder formte sich seine eigenen Sprüche, um die Magie zu wirken. Die Worte und Silben dazu fand er tief in seinem Inneren. Auch die Muschelmagie arbeitete nach einem ähnlichen Prinzip, nur dass sie ungleich mächtiger und ihre Wirkung viel gefährlicher war.
    Jollys Ruf an die Geister strich wie ein Windstoß über die Planken der Carfax, schmiegte sich sanft um die Masten und kroch an den Tauen und Wanten empor. Wie eine unsichtbare Macht tanzte er über die Rahen und zwang die verlorenen Seelen all jener, die an Bord dieses Schiffes gestorben waren, unter Jollys Befehl.
    Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die nebeligen Umrisse und Silhouetten aus dem Holz emporstiegen, mit faserigen Rändern und verschwommenen Mienen, die es unmöglich machten, sie voneinander zu unterscheiden. Bald waren sie überall auf dem Hauptdeck und auf der Brücke versammelt, rund um Jolly und das Steuer. Sogar oben im Ausguck des neuen Toppmasts waberte ein Geist so unstet wie ein Nebelfetzen.
    Jolly ließ ihren Blick noch einmal über den verlassenen Pier Aeleniums wandern, dann gab sie ihre Befehle. Sie hatte noch nie allein ein Schiff geführt, geschweige denn eine ganze Mannschaft befehligt. Aber sie konnte sich jetzt keine Zweifel leisten. Bannon hatte ihr alles beigebracht, was er über die Seefahrerei wusste. Ihr fehlte es nur an Erfahrung.
    Die Geister bemannten alle wichtigen Positionen an Deck und in der Takelage. Nur das Rasseln der entrollten Segel, das Ächzen der gespannten Taue und das Knirschen der Ankerwinde waren zu hören. In ein paar Minuten würde die Carfax zum Auslaufen bereit sein.
    »Hast du nicht jemanden vergessen?«
    Jolly fuhr herum. Hinter ihr, im Schatten der Reling, saß im Schneidersitz eine schmale Gestalt. Auf dem dunklen Boden schimmerte ein Kreis kleiner, heller Punkte.
    »Munk!«
    Er seufzte leise. »Ja, nur ich. Schade, was?«
    »Wie meinst du das?«
    Er sah zu ihr auf. »Lieber wäre dir doch ein anderer gewesen.«
    Sie funkelte ihn wütend an. »Hör mit dem Blödsinn auf. Dafür ist jetzt nicht die -«
    »Warum nimmst du Griffin nicht mit? Jetzt, wo ihr euch so gut versteht.«
    »Das hier ist allein meine Sache. Nicht die von Griffin. Und auch nicht deine.«
    »Hm«, machte er und legte den Kopf schräg, als müsse er darüber nachdenken. »Hast du nicht etwas übersehen?«
    Sie überlegte, ob sie den Geistern kurzerhand befehlen sollte, ihn von Bord zu werfen.
    Sie hatte jetzt weder Zeit noch Geduld für derartige Auseinandersetzungen. Erst recht nicht mit jemandem, der sich wie ein beleidigter kleiner Junge aufführte.
    »Der Schorfenschrund«, sagte er und traf damit zielsicher ihren wunden Punkt. »Du willst also, dass ich die Sache alleine zu Ende bringe.«
    »Ich muss Bannon finden. Das hatte ich von Anfang an vor, und das weißt du.«
    »Und Aelenium? Die Menschen hier und in der ganzen Karibik? Ich und - zum Teufel - meinetwegen auch Griffin? Sind wir dir alle egal?«
    »Ich muss tun, was ich tun muss.«
    »Liebe Güte, Jolly! Fällt dir denn nichts Originelleres ein?« Er stand auf, trat vorsichtig um den Muschelkreis am Boden herum und blieb ganz nah vor ihr stehen. »Gib’s doch zu. Du hast die Hosen gestrichen voll. Bannon ist nur eine Ausrede, um abzuhauen.«
    »Ich bin kein Feigling.«
    »Ach nein? Und wie, glaubst du wohl, sieht das aus, was du hier gerade tust?«
    Sie setzte ihren Finger auf seine Brust wie den Lauf einer Pistole. »Du bist eifersüchtig - das ist alles! Ich habe Angst, das stimmt, aber die hast du auch. Und meine Angst ist nicht der Grund, weshalb ich Aelenium verlasse.«
    »Du willst diesen Bannon - diesen Piraten finden«, sagte er abfällig. »Wie edel!«
    Sie starrte ihn an und fand einfach keinen Zugang zu seinen Gedanken. »Es ist noch nicht lange her, da wolltest du selbst Pirat werden.«
    »Das war früher. Und ich war ein anderer.«
    Jolly sah ihn an. Ja, er hatte Recht. Er war ein anderer. »Und gefällst du dir so?«, fragte sie leise.
    Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und plötzlich war sie froh, dass sie im Dunkeln nicht jede Nuance seines Mienenspiels erkennen konnte. Seine Stimme klang kalt und war von brodelndem Zorn durchsetzt. »Darum geht es nicht, Jolly. Es ist eine Bestimmung. Unsere Bestimmung!«
    Jolly bekam eine Gänsehaut. Vor einigen Tagen hatte sie

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