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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Weise aussperren zu können. Dabei konzentrierte sie sich ganz auf die Berührung von Walkers Hand, obwohl sie dabei von widerstrebenden Gefühlen heimgesucht wurde. Ärger über sich selbst, aber auch Beruhigung. Scham, weil sie so inkonsequent war, aber auch… Zuneigung?
    Grundgütiger!
    Wenig später spürte sie, dass die Visionen trotz allem zu ihr durchdrangen. Sie strömten in ihre Gedanken wie Wasser in einen leckgeschlagenen Schiffsrumpf.
    Soledad riss die Augen auf und stellte mit Entsetzen fest, dass nicht mehr Walker ihre Hand hielt, sondern ein fetter Kerl. Ein gestreiftes Hemd spannte sich über seine Wampe und entblößte den Bauchnabel. Er hatte nur noch auf einer Seite seines feisten Schädels Haare; die andere war von einem Netzwerk alter Brandnarben wie von einer Lederkappe bedeckt.
    Über dem Hemd trug er einen zerschlissenen Gehrock, der rechte Ärmel hing in Fetzen. Eine Schnittwunde an seiner Stirn hatte schon vor langer Zeit aufgehört zu bluten, klaffte aber immer noch weit offen.
    »Santiago«, flüsterte Soledad benommen.
    Der fette Pirat wandte ihr das Gesicht zu und öffnete den Mund. Ein unbeschreiblicher Gestank von Rum und toten Fischen kam ihr entgegen, als er die Zähne fletschte wie ein wildes Tier. Sie wollte ihre Hand losreißen und zugleich mit links eines ihrer Wurfmesser ziehen. Doch ihre Bewegungen waren zu langsam und seltsam unentschlossen, so als teilte sie sich die Gewalt über ihren Körper mit jemandem, der immer genau das Gegenteil wollte.
    »Soledad… kleine Soledad«, sagte Santiago und legte den Kopf schräg. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sogar stärker aufgequollen war als bei ihrer letzten Begegnung vor einigen Jahren. Damals war er freilich am Leben gewesen und hatte nicht monatelang kopfüber in einem Rumfass gesteckt.
    Sie hoffte sehr, dass die gelbbraune Flüssigkeit, die über seine wulstigen Lippen tropfte, tatsächlich nichts anderes war als Rum.
    »Du bist zu mir gekommen«, sagte er. »Das ist nett von dir.« Bei jedem dritten oder vierten Wort bildeten sich Bläschen vor seinem Mund, die wenig später zerplatzten. »Weißt du, was die Kerle mir angetan haben?«
    »Sie haben dich ausgesetzt.«
    »Gemeutert haben sie. Aufgeknüpft gehören sie dafür. Gehäutet und gevierteilt.«
    »Man sagt, du hättest versucht, sie um ihren Anteil zu betrügen.«
    »Pah! Ein kleiner Rechenfehler, nichts sonst.«
    »Gewiss.« »Gehäutet und…« Er verstummte, als hätte er vergessen, was er gerade sagen wollte.
    »Gevierteilt?«, schlug sie vor.
    »Gevierteilt«, bestätigte er und grinste grässlich.
    »Was willst du von mir?«
    Soledad schaute sich am Strand der Insel um, entdeckte aber weder Walker noch den Geisterhändler. Auch die Visionen hatten sich in Luft aufgelöst. Nur das Rumfass stand noch an derselben Stelle. Aber jetzt ragten keine Stiefel mehr daraus hervor. Stattdessen führten feuchte Fußstapfen zu dem lebenden Leichnam an ihrer Seite, der nach wie vor ihre Hand umklammerte. Seine Finger fühlten sich seifig an.
    Sie nahm all ihren Mut zusammen. »Erinnerst du dich an meinen Vater?«
    »Den alten Scarab? Aber sicher. War ein Saukerl, aber einer, der zu seinem Wort gestanden hat.«
    »Du weißt, was mit ihm geschehen ist?« Ihre Stimme klang bei der Erinnerung an ihren Vater belegt, selbst hier, in diesem seltsamen Zwischenreich.
    »Kenndrick hat ihm den Hals durchgeschnitten.«
    »Ja… das hat er.«
    »Und nun willst du Kenndrick ans Leder, was? Warst schon als Kind ein Satansbraten. Hab mal versucht, dich deinem Alten abzukaufen, aber er wollt dich nicht hergeben, nicht mal für zehn Fässer Rum.«
    Insgeheim sandte sie ein Dankesgebet zum Piratenhimmel. »Du weißt etwas, das mir weiterhelfen könnte.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich muss Kenndrick finden. Und ich will die Antillen-Kapitäne auf meine Seite ziehen.«
    Santiago schüttelte sich vor Lachen. »Was glaubst du, was die sich um dich scheren? Oder um das, was du vorhast?« Mit einem Kopfschütteln ließ er Soledads Hand los und trottete wieder auf das Fass zu. Soledad folgte ihm mit schweren, zähen Schritten.
    »Warte!«
    Er drehte sich nicht einmal um. »Weshalb sollte ich?«
    »Weil . weil wir dich heraufbeschworen haben und du mir gehorchen musst.«
    »Dir?« Wieder lachte er. »Vielleicht deinem einäugigen Freund… ja, ihm vielleicht. Aber dir? Träum weiter vom Piratenthron, kleine Soledad, aber lass mir meinen Frieden.«
    Er war schneller als sie, trotz seines beträchtlichen

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