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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weit von hier!«
    »Dir ist doch klar, dass Tyrone dort auftauchen wird? Der Kannibalenkönig?«
    »Kennst du ihn?«
    Er nickte. »Nimm dich vor ihm in Acht.«
    »Ja. Werde ich.«
    Er stieß ein blubberndes Seufzen aus. »Die sollen mich hier draußen bloß alle in Ruhe lassen.«
    »Keine Sorge. Von denen wagt sich keiner auf deine Insel. Es gibt Gerüchte, weißt du. Über einen Fluch.«
    Er horchte auf. »Einen Fluch?«
    »Einen besonders widerwärtigen, grausamen.«
    »Etwa meinen Fluch?«
    »Aber ja doch.«
    Er gluckste wieder und sah zum ersten Mal glücklich aus. »Das erzählen sie sich über mich? Dass ich die ganze Saubande verflucht habe?«
    »Wenn ich’s dir sage!«
    »Bei Henrys rotem Bart, verdammmich!«
    »Du bist berühmt, Santiago. Und gefürchtet.«
    »Donnerwetter!«
    »Schön, dass dich das freut.«
    Er grinste einen Moment lang selbstzufrieden vor sich hin, dann wandte er sich seinem Fass zu. »Mach’s gut, kleine Soledad.«
    »Du auch, Santiago.«
    Er ließ sich wieder in das Fass plumpsen und winkte ihr zum Abschied mit dem linken Fuß zu.
    Sie schloss die Augen, dachte an Walker und spürte im selben Moment seine Hand in ihrer.
    Ich weiß es, dachte sie stolz und wiederholte es noch einmal laut: »Ich weiß es.«
    »Ja«, sagte der Geisterhändler, als sie die Augen wieder aufschlug. »Du riechst ganz abscheulich nach Rum.«

Allein auf See

    Jolly wischte sich den Schweiß aus den Augen. Sie war hundemüde. Selbst die Aufregung, aus Aelenium geflohen zu sein, würde sie nicht mehr lange auf den Beinen halten. Ihre Hände an den Griffen des Steuerrades spürte sie kaum noch, und ihre Knie fühlten sich weich an wie Krakenarme.
    Einen Tag und zwei Nächte stand sie nun schon am Steuer der Carfax. Gelegentlich hatte sie es mit Tauen gesichert und eine Stunde geschlafen, dann und wann etwas gegessen und getrunken. Doch das änderte nichts daran, dass sie vollkommen übermüdet war und ihr Magen so laut knurrte, dass er sogar die Brecher am Bug übertönte.
    Bei ruhiger See hätte sie das Steuer unbeaufsichtigt lassen können. Nicht aber bei diesem Seegang. Ein scharfer Wind jagte von Osten her über den Atlantik, die Wellen bildeten mannshohe Täler und Hügel. Gischt schlug gegen den Rumpf und sprühte über das Deck. Es war kein wirklicher Sturm, nichts, was einem erfahrenen Steuermann Sorgen bereitet hätte. Und auch Jolly verstand sich auf Navigation und Kartografie, sie wusste, wie man ein Schiff steuerte und welche Gefahren Windstärken wie diese mit sich brachten. Woran es ihr aber fehlte, war reine Körperkraft. Das Steuer war so hoch wie sie selbst, und sie musste die Arme weit spreizen, um es zu packen. Jedes Mal, wenn die Carfax in ein Wellental stürzte oder ein besonders wütender Brecher vor den Bug knallte, war es, als würden ihr die Arme ausgekugelt. Einem ausgewachsenen Mann mochte die Belastung nicht viel ausmachen. Jolly aber war zu klein und, wie sie sich zähneknirschend eingestehen musste, nicht kräftig genug für diese Aufgabe. Schon gar nicht anderthalb Tage lang.
    Sie hatte versucht, einem der Geister das widerspenstige Steuer zu übergeben. Doch die Dunstwesen taugten nicht für diese Tätigkeit: Offenbar waren zwar zahllose Matrosen an Bord der Carfax ums Leben gekommen, aber kein einziger Steuermann. Hilflos standen die Geister da, ohne jedes Feingefühl, das zum Führen einer Schaluppe nötig war. Als Steuermann musste man jedes Beben des Rumpfes, jeden Stoß vor den Bug abschätzen und auffangen können. Mit den Geistern dagegen war es, als verlangte man von einer Holzpuppe, sie solle einen Hengst zureiten; man mochte die Puppe noch so fest in den Sattel binden, irgendwann würde das Pferd sie abschütteln oder an einem Pfosten zertrümmern.
    Wenn das Wetter sich nicht bald änderte, war Jollys Lage hoffnungslos. Eine Weile würde sie noch durchhalten, drei Stunden, vielleicht vier. Dann aber würde sie sich endgültig geschlagen geben müssen. Der hölzerne Koloss unter ihr war stärker als sie, und sie hatte sich maßlos überschätzt, als sie angenommen hatte, ihn ganz allein, nur mithilfe der Geister, zur Mündung des Orinoco steuern zu können.
    Schon vor einiger Zeit war die Sonne aufgegangen, aber das machte Jollys Lage nicht hoffnungsvoller.
    In den Nachtstunden hatte Jolly sich immer wieder dieselben quälenden Fragen gestellt. Warum zum Teufel war sie allein aufgebrochen? Warum hatte sie Griffin nicht mitgenommen? Seit jenem Abend vor zwei Tagen hatte

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