Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
- entweder das Gerippe eines großen Fisches oder die Planken eines zerstörten Schiffsrumpfs. Er verspürte kein allzu großes Bedürfnis, herauszufinden, welche der beiden Möglichkeiten zutraf.
Was ihn dagegen brennend interessierte, war die Antwort auf die Frage, weshalb er noch lebte. Und woher der Lichtschein im Magen eines Seeungeheuers kam.
Unglücklicherweise würde er nicht lange genug am Leben bleiben, um dieses Rätsel zu lösen. Die stinkende Brühe, die um seine Beine schwappte, war vermutlich eine Mischung aus seinem Erbrochenen und den Magensäften dieses Ungeheuers. Der Gedanke daran ließ ihn abermals würgen, aber da war nichts mehr, das er hätte herausbringen können.
Er rappelte sich hoch und versuchte, Schleim und Schmutz von seiner Uniform zu wischen, ließ es aber bleiben, als er merkte, dass seine Hände nur unbeholfen auf der Kleidung herumpatschten.
Erst jetzt überkam ihn die Verzweiflung. Sie traf ihn spät, dafür nun umso stärker, und sie zwang ihn in die Knie. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schloss für eine ganze Weile die Augen, in der Hoffnung, so dieses Albtraums Herr zu werden.
Eine Erschütterung ließ die Umgebung erzittern - ein wellenförmiges Beben, das auf einer Seite des höhlenartigen Raumes begann, auf Griffin zurollte, ihn fast von den Füßen riss und sich weiter in die andere Richtung fortsetzte, dabei Knochen, Gräten und Holzreste emporschleuderte und schließlich wieder verebbte. Als sich der Untergrund beruhigt hatte, horchte Griffin angestrengt in die Stille. Da war ein einförmiges Rauschen, wie das Grollen eines Wasserfalls hinter meterdicken Mauern. Und noch etwas anderes, ein rhythmisches Pochen, dumpf und weit entfernt: der Schlag eines riesenhaften Herzens.
Griffin stützte sich an einem der hohen Bögen ab und holte tief Atem. Es stank entsetzlich, so als hätte man in einem Fischerhafen die Innereien eines ganzen Wochenfangs zum Trocknen ausgelegt. Die Luft war feuchtwarm und so stickig, dass sie sich wie ein Ölfilm auf seinen Kehlkopf legte. Er räusperte sich, hustete, spuckte aus, aber es half nichts.
In der Ferne schlug weiter das gewaltige Herz.
Griffins Hand tastete über die Rundung. Zu glatt für eine Schiffsplanke. Es war tatsächlich ein Knochen, der Rippenbogen irgendeines großen Tiers, das vor unbekannter Zeit hier unten gestrandet war.
Langsam bewegte er sich vorwärts. In dem vagen Halblicht, das die Höhle erfüllte, hatte er Mühe, den Boden vor seinen Füßen zu erkennen. Er sah Umrisse, schwarze Silhouetten von Wrackteilen und Berge von Gerippen. Ab und zu stieß er auf menschliche Skelette. Nichts an ihnen verriet, wie diese armen Teufel ums Leben gekommen waren. Waren sie ertrunken? Oder hatte man sie hier unten erschlagen?
Er packte einen Metallstab, der aus einem Knäuel halb verfaulten Holzes hervorragte, wog ihn in der Hand und entschied, dass er notfalls eine passable Waffe abgeben würde. Sein Säbel war verschwunden, vermutlich hatte er ihn beim Sturz in den Schlund verloren. Auch von Matador, seinem Seepferd, entdeckte er keine Spur und hoffte inständig, dass es dem Sog des Riesenmauls entkommen war. Den Weg zurück nach Aelenium würde es auch ohne seinen Reiter finden.
Wie lange war er bewusstlos gewesen? Ein paar Stunden? Sogar Tage? Da sein Magen knurrte, lag seine Ankunft hier unten vermutlich schon eine ganze Weile zurück. Außerdem war die Haut an den Stellen, die im Wasser und Magensaft gelegen hatte, ganz aufgeweicht und schrumpelig. Ziemlich widerlich, fand er, und hoffte, dass sich das bald wieder geben würde.
Nicht, dass es eine Rolle spielte, wenn er in Kürze ohnehin verdaut wurde.
Wobei er sich immer noch nicht vorstellen konnte, was für ein gigantisches Wesen ihn verschluckt haben mochte.
Das Bild des Mare Tenebrosum setzte sich vor seinen Augen zusammen, Bewegungen im öligen Wasser, das Rumoren riesiger Leiber unter der Oberfläche. War das hier eine jener Kreaturen? Du liebe Güte! Befand er sich überhaupt noch in seiner eigenen Welt?
Die Verzweiflung überkam ihn aufs Neue, doch diesmal war er dagegen gewappnet. Er biss die Zähne zusammen und presste die Finger seiner linken Hand so fest in den Handballen, dass es wehtat. Das lenkte ihn kurzzeitig ab, und als der Schmerz nachließ, verschwanden auch Panik und Resignation. Ein Trick, den er von einem alten Seebären auf Haiti gelernt hatte.
Die Eisenstange in seiner Hand fühlte sich glitschig und ziemlich verrostet an,
Weitere Kostenlose Bücher