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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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jedem Stein und jedem Tier.
    Sie waren aus den Träumen, Wünschen und Notwendigkeiten jeder Faser dieser Welt geboren worden - aus Dingen, auf die Urvater nie wirklichen Einfluss gehabt hatte. Er hatte die Welt erschaffen, aber verstanden hatte er sie nicht.
    Der Geisterhändler wusste, dass Urvater die Weberinnen beneidet hatte. Sie waren der erste Schritt dieser Welt in die Unabhängigkeit von ihrem Schöpfer gewesen. Das Kind hatte sich vom Vater gelöst und seinen eigenen Weg eingeschlagen.
    Mit einem Seufzen richtete er sich auf, als er sah, dass der Rochen am Grund der Grube sich regte. Mühsam machte er einige Schläge mit den Schwingen, die ihn nach mehreren vergeblichen Versuchen schließlich vom Boden hoben. Nässe tropfte von seinem Körper hinunter in die Pfützen, als er aus der Grube aufstieg, bis sich sein Schädel auf einer Höhe mit dem Gesicht des Händlers befand.
    »Willst du mir etwas sagen, mein Freund?« Der Händler spürte den Blick der schwarzen Augen, die im Vergleich zu ihm selbst noch jung, für einen Rochen jedoch uralt sein mussten. Eine seltsame Erregung packte ihn angesichts der Leistung dieses Tiers, das in diesem Moment über sich selbst und seine Gebrechlichkeit hinauswuchs.
    Ganz langsam schlugen die Schwingen des Rochens, gerade genug, um den schweren Körper über der Grube zu halten. Nun senkte sich das Tier ein wenig und drehte sich mit der linken Schwinge zum Geisterhändler.
    »Ich soll aufsteigen?« Er überlegte kurz, dann nickte er. »Warum nicht? Wenn du mich hinauf aufs Plateau trägst.«
    Er nahm auf dem ungesattelten Rücken des alten Rochens Platz und spürte dabei einmal mehr, wie ähnlich er und dieses Tier sich waren. Auch er lehnte sich auf gegen Schicksal und Natur, genau wie der Rochen unter ihm. Wärme durchfuhr ihn bei diesem Gedanken und fast so etwas wie ein Gefühl von Freundschaft zu dem tapferen Tier.
    Sie stiegen durch die Öffnung in der Decke ins Freie auf. Die Strahlen der späten Nachmittagssonne erfassten sie und gossen sie in Bronze, als der Rochen vorwärts flog und den Händler auf dem breiten Plateausims absetzte. Mit rasselnden Atemzügen legte sich das Tier am Boden nieder.
    Wenige Herzschläge später war es tot. Nicht die Anstrengung hatte sein Leben beendet, sondern sein eigener Wunsch: Ein letztes Mal war es von Nutzen gewesen, um dann zufrieden und friedlich einzuschlafen.
    Der Geisterhändler ging abermals in die Hocke, streichelte den reglosen Körper und nahm stumm von ihm Abschied. Falls diese Begegnung ein Zeichen war, so hätte es nicht deutlicher ausfallen können.
    Es war an der Zeit, dem allen hier Lebewohl zu sagen.
    Er richtete sich auf und wandte den Blick nach Norden, dem breiten Band aus Dunstwirbeln entgegen, die von der ungeheuren Weite des Mahlstroms kündeten. Davor bewegte sich ein dunkler Punkt in der Luft, ein Rochen, der sich rasch von der Seesternstadt entfernte und auf den Mahlstrom zuglitt. Eine Gestalt saß auf dem Tier.
    Der Geisterhändler ahnte, wer dies war. Griffin mochte gespürt haben, dass die Dinge in Aelenium ihrem Ende entgegengingen. Wahrscheinlich hatte er es nicht mehr ausgehalten, tatenlos abzuwarten, während Jolly auf sich allein gestellt mit den Mächten des Mahlstroms rang.
    Falls sie noch am Leben war.
    Der Geisterhändler zweifelte allmählich daran.
    Mit dem Silberreif in der Hand trat an den äußeren Rand des Simses und machte sich daran, das Plateau einmal zu umrunden. Dabei streifte sein Blick über alle Viertel Aeleniums, über die Dächer und verwinkelten Gassen, durch Rauchfahnen und die Schwärme der Möwen und Rochenreiter.
    Murmelnd begann er mit der Beschwörung.

Wo aller Zauber vergeht

    Im Inneren der glühenden Perle, gerade groß genug um einen Menschen zu tragen, schwebte Jolly zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib, die Augen geschlossen, die Lippen fest aufeinander gepresst. Wärme umfing sie, ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit. Sie war dort angelangt, wo sie immer hingewollt hatte, an einen Ort, der sie willkommen hieß, der sie mit Glück und Frieden und Sicherheit erfüllte.
    Die magische Perle hatte die tosende Wand der Wassersäule durchbrochen und befand sich jetzt im Herzen des Mahlstroms, in einem schwarzen Abgrund, der Jolly längst keine Furcht mehr einflößte, denn die Dunkelheit verstärkte nur das Licht der Perle und die Schönheit, die ihr innewohnte.
    Jolly träumte noch einmal alle Träume ihres bisherigen Lebens, zusammengeballt als Ansturm von

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