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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Millionen Bildern, hineingepresst in einen einzigen Augenblick, eine machtvolle Explosion von Farben, Gerüchen und Lauten. Stimmen in ihrem Kopf, viele Gesichter, die sie umkreisten wie Moskitos ein loderndes Feuer. Und, ja, lodernd fühlte sie sich, brennend heiß vor Kraft, überkochend im Sturm der Gefühle, die sie alle schon einmal empfunden hatte und die nun erneut in ihr hochquollen, Glück und Trauer und Leid und - So viel Leid.
    Ihre Freunde starben.
    Jolly öffnete blinzelnd die Augen, und das Licht, das bislang nur abgeschwächt durch ihre Lider gedrungen war, blendete sie wie eine glühende Klinge. Statt Helligkeit war da mit einem Mal Finsternis. Und in diesem Moment der Blindheit, des absoluten Nichtsehens, erkannte sie die Wahrheit.
    Sie war gefangen. Der Mahlstrom hatte sie verschlungen.
    Die Träume wurden zu Albträumen, keine Bilder mehr, nur noch die gebündelte Kraft aller Ängste und Sorgen, die über sie hereinbrach. Erinnerungen peinigten sie, nicht die Empfindungen längst vergesse ner Traumbilder, sondern der Gedanke an gerade erst Vergangenes: Ainas Ebenbild, das sich zu einem rotierenden Strudel auflöste und sie samt der Perle in sich aufsaugte. Und Munk, der die Perle heraufbeschworen hatte, seinerseits geblendet, nicht von magischem Licht, sondern von den Lockungen des Mahlstroms. Nicht Macht war es, die er suchte, sondern - und darin ähnelte er allen anderen, auch Jolly -nur seinen Platz in der Welt und ein wenig Geborgenheit.
    Jolly riss den Mund auf und schrie. Es war ein lang gezogener, gellender Schrei, und er durchbrach das enge Rund der Perle und hallte hinaus in die dichte Finsternis.
    Sie trat und schlug um sich, aber es half nichts. Sie sah kein Oben und kein Unten, nur Leere um sich herum. Sie ahnte, was dies war, erkannte, dass im Inneren des Mahlstroms ein Stück des Mare Tenebrosum lebte, ganz gleich, ob sich der Strudel von den Meistern jener Welt losgesagt hatte oder nicht. Wohin verschwand das Wasser, das er in sich aufsaugte? Ganz sicher nicht am Meeresgrund, denn dann hätte sie sich ihm auf viele Meilen nicht nähern können. Also gab es doch eine Verbindung zum Mare, ob der Mahlstrom wollte oder nicht, und zwar, weil er selbst diese Verbindung war. Er mochte leben, denken, den Untergang einer ganzen Welt planen - aber er war doch einst als Durchgang geschaffen worden, als Werkzeug des Übergangs, als Portal der Meister des Mare Tenebrosum. Etwas von ihnen war auch in ihm, und die Dunkelheit war Teil ihrer Welt.
    Ohne Gewissheit darüber haben zu können, stellte Jolly sich vor, dass sie zwischen den Welten schwebte, inmitten eines strudelnden Tunnels, der die eine Ebene des Daseins mit der anderen verband.
    Plötzlich sah sie einen Lichtpunkt im Dunkel erblühen, größer werden, sich entfalten. Gefangen in der Perle, musste sie mit ansehen, wie er auf sie zuraste.
    Es war Munk. Die glosende Helligkeit, die ihn umgab, ging von der Muschel aus, die er in seiner rechten Hand hielt. Es war dieselbe Muschel, die Aina ihm geschenkt hatte, das wunderschöne, gefährliche Ding, das zu ihm flüsterte, wenn er es ans Ohr hielt.
    »Jolly, hab keine Angst«, sagte eine Stimme, die sie erst nach einem Augenblick als die seine erkannte. Nur eine Armlänge vor der Perle kam er zum Stehen, schwebend inmitten der Finsternis. Seine Lippen bewegten sich, ohne dass ein weiteres Wort ertönte. Es war, als hörte sie, was er sagte, bevor er es sagte, und sie brauchte eine Weile, ehe ihr klar wurde, dass die Perle der Grund dafür war. Die glühende Kugel, in der sie eingesperrt war, brach und verzerrte die Zeit; was sie hörte, mochte genau zum selben Zeitpunkt gesprochen werden, doch was sie sah, geschah in Wirklichkeit ein wenig früher. In ihrer Situation schien das eine bedeutungslose Kleinigkeit zu sein, doch sie trug dazu bei, dass Jolly sich noch stärker wie in einen Traum versetzt fühlte.
    »Ich würde dir nie etwas antun«, erklang Munks Stimme in ihren Ohren, und dann erst bewegte sich außen vor der Perle sein Mund.
    »Wo sind wir hier?«, fragte sie, nachdem sie die Flut aus Beschimpfungen, die ihr als Erstes in den Sinn gekommen war, heruntergeschluckt hatte.
    »Im Inneren des Mahlstroms.«
    »Das weiß ich.« Wusste sie das wirklich? Jedenfalls war es ihre erste Vermutung gewesen. »Aber was ist das hier, diese Dunkelheit?«
    Seine Stimme klang, als lächele er beim Sprechen, doch seine Mundwinkel verzogen sich erst, nachdem sie seine Worte gehört hatte. »Du hast

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