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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ungeduldig auf ihre Wiedergeburt warteten -und wurde plötzlich abgeschnitten.
    Eine unsichtbare Faust traf den Geisterhändler und schleuderte ihn zu Boden. Der Silberreif entglitt seiner Hand und kam auf dem Sims auf. Der Händler hatte Glück, dass er nur wenige Schritte nach hinten gestolpert war; beinahe hätte ihn die Wucht über die Kante des Plateaus geworfen, hinab in die Tiefe des Rochenhorts. So aber blieb er mit einem Stöhnen liegen, hob gleich wieder den Kopf und starrte zum Horizont hinüber.
    Das Licht inmitten der wogenden Dunstwälle verblasste. Die Welt schien den Atem anzuhalten. Stille versiegelte die Ohren wie flüssiges Wachs. Das Einzige, was der Händler hörte, war das Blut, das in seinen Schläfen pochte. Selbst der Lärm der Schlacht schien innezuhalten, vielleicht, weil auch die Kämpfer spürten, dass etwas geschah, womit keiner gerechnet hatte.
    Die Tür, durch welche die Geister der toten Götter diese Welt hatten betreten wollen, war zugefallen. Es würde viel Kraft und Überzeugung kosten, sie abermals zu öffnen und die Beschwörung von neuem zu beginnen.
    Doch vielleicht war das gar nicht mehr nötig.
    Aus dem Herzen des Mahlstroms, so viele Meilen entfernt, schraubte sich ein grauer Turm aus Wasser empor, der selbst aus der Ferne klar zu erkennen war. Seine Spitze berührte den Himmel, erblühte wie der Kelch einer Blume und brach schließlich in einer Explosion aus Wasserkaskaden auseinander.
    Der Geisterhändler sah dies alles und begriff im selben Augenblick, dass die Flutwelle kommen würde. Wusste es, bevor er sie schließlich sah, eine Wand aus Meerwasser, unter der sich der Ozean aufwölbte, bockte wie ein störrisches Tier und die Luft selbst zum Erzittern brachte.
    Über dem Geisterhändler schossen die beiden Papageien in die Höhe, stiegen auf, bis sie nur noch zwei dunkle Punkte waren.
    Er kämpfte sich auf die Füße, suchte nach Halt und fand den Leichnam des alten Rochens. Ohne den Blick von der Flutwelle zu nehmen, die auf Aelenium zudonnerte, lief er zu dem toten Tier hinüber, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und schloss in banger Erwartung die Augen.
    Stumm und reglos wartete er auf das Ende.

Untergang

    Wenige Minuten bevor das geheimnisvolle Licht den Mahlstrom zerriss, bevor der Geisterhändler die Beschwörung abbrach und Griffins Rochen mit letzter Kraft die sicheren Höhen über der Flutwelle erreichte, brach der Verteidigungswall im oberen Drittel Aeleniums zum zweiten Mal.
    Nach dem Fall der Südseite gelang es den Angreifern nun, auch im Westen eine Kerbe in die verzweifelte Gegenwehr der Garde zu schlagen. Abgerissene Gestalten, die tagelang in den Laderäumen von Tyrones Flotte ausgeharrt und im Dunkeln den Ausgang der Seeschlacht gegen die Antillenkapitäne abgewartet hatten, ergossen sich über den Wall. Mehrere Geschütze, die an Land gebracht und die Gassen hinaufgerollt worden waren, hatten eine Bresche in die Verteidigungsanlagen gerissen. Viele Bewohner Aeleniums wären ums Leben gekommen, hätte der zuständige Befehlshaber die Lage nicht rechtzeitig erkannt und seine Leute in den angrenzenden Gassen in Sicherheit gebracht.
    Nun strömten Piraten und Kannibalen durch den dichten Qualm der Geschütze, stolperten über geborstene Korallensplitter und Holzreste und trampelten brüllend und säbelschwingend über einen Platz, auf dem früher Kinder gespielt und abends die Menschen bei Wein und Gesang gesessen hatten.
    Die erste Welle der Angreifer kam ins Stocken, als die Gardisten hinter den Ecken der Gassen und ein paar behelfsmäßigen Barrikaden das Feuer eröffneten. Jene aber, die nachrückten, nutzten die Augenblicke, in denen Büchsen und Pistolen nachgeladen werden mussten, und verwickelten die Verteidiger in heftige Gefechte Mann gegen Mann.
    Aus den Lüften entdeckten Rochenreiter, was geschehen war, und gleich darauf sah sich D’Artois gezwungen, seine Rochenarmee zu teilen und einen Trupp aus dem heiß umkämpften Süden zu der neuen Bresche im Westen zu schicken. Das Ergebnis war, dass dort die Angreifer zwar aufgehalten wurden, jene im Süden aber nun auf weniger Gegenwehr stießen und allmählich die Oberhand gewannen.
    »Es ist hoffnungslos«, sagte der Hauptmann zu seinem Schützen. Als Befehlshaber hätte er seine Verzweiflung nicht offen zeigen dürfen, doch er und sein Schütze kannten sich seit vielen Jahren und hatten keine Geheimnisse voreinander. »Sie werden die Stadt nehmen«, sagte er bedrückt, »noch bevor die

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