Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Dinge gewesen, denn jetzt zeigte sich, dass es das Meer selbst war, das sich erhob, und dass es schrecklicher und grausamer sein konnte als jede Kreatur aus Fleisch und Blut.
    In alle Richtungen erstreckten sich die Wogenkämme des Mahlstroms, und nun wurde auch das Gefälle der brodelnden Oberfläche steiler. Unter ihm ging es bald senkrecht abwärts, und erneut kam ihm zu Bewusstsein, welche Kräfte am Werk sein mussten, um den Ozean selbst zu krümmen wie den Rücken eines gigantischen Lebewesens.
    Mit den Zügeln gab er dem Rochen das Signal, noch höher aufzusteigen. Das Tier gehorchte bereitwillig. Es wäre wohl zum Mond geflogen, hätte Griffin das von ihm verlangt, solange sie nur aus der Reichweite dieses Schlundes kamen, der sich Meile um Meile unter ihnen öffnete.
    Irgendwann, nachdem das Gefalle zur Steilwand geworden war und sich unter ihm eine Wolkendecke aus brodelndem Dampf und Gischt erstreckte, entdeckte er in der Ferne die gegenüberliegende Seite des Abgrunds. Er befand sich jetzt genau über dem Mittelpunkt des Mahlstroms. Tückische Fallwinde zerrten an den Schwingen des Rochens, und gefährliche Luftströme drohten, ihn in den Abgrund zu saugen. Es fiel schwer, den Durchmesser dieses titanischen Trichters zu schätzen, aber von einem gewölbten Rand zum anderen mussten es viele Meilen sein. Es überstieg Griffins Fantasie, dass sich dieser Rachen im Gefüge der Welt ganze dreißigtausend Fuß in die Tiefe erstreckte und dabei immer schmaler und schmaler wurde, sodass sein tiefster Punkt am Meeresgrund in einer Muschel verschwinden konnte.
    Irgendwo dort unten war Jolly.
    Falls sie so weit gekommen ist, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Er tat sein Bestes, diesen Gedanken zu unterdrücken, aber ganz gelang es ihm nicht. Jolly war in Regionen vorgestoßen, die jenseits menschlicher Erfahrung lagen. Und ihr einziger Gefährte war jemand, der einmal fast ihr ärgster Feind geworden wäre.
    Es hatte keinen Zweck, sich etwas vorzumachen. Die Chancen standen nicht gut für sie. Und doch war er froh, dass er nun hier war, an diesem Ort, der Jolly näher war als jeder andere auf der Welt. Er konnte nur hoffen, vielleicht sogar beten, dass sie noch lebte.
    Einen Augenblick lang erwog er tatsächlich, sich mitsamt dem Rochen in die Tiefe zu stürzen und einfach zu sehen, wie weit er käme. Wie tief konnte er ins Innere des Mahlstroms vorstoßen, ohne von den rotierenden Wasserwänden erfasst zu werden? Aber er verwarf den Gedanken, denn welchen Sinn hätte es gehabt, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen? Damit half er weder Jolly noch seinen Freunden in Aelenium.
    Auf eigenartige Weise war er beinahe erleichtert, trotz allem. Endlich sah er mit eigenen Augen, worüber sie so lange nur geredet hatten. Er sah den Mahlstrom unter sich liegen, hörte sein Brüllen, spürte seinen grässlichen Sog. Er fühlte die Nähe des Feindes, und das stachelte seinen Hass von neuem an. Entschlossenheit stieg in ihm auf, und falls es ihm gelang, heil nach Aelenium zurückzukehren, würde er für die Freiheit der Menschen kämpfen, bis es nur noch zwei mögliche Wege gab - Überleben oder geradewegs in den Untergang gehen.
    Bevor er jedoch abdrehte und sich auf den Heimweg machte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig tiefer zu gehen. Es war, als wirkte sich der Sog des Mahlstroms auch auf seine Gedanken aus, als wäre da ein Ziehen, das ihn wie einen Magneten in die Tiefe lockte.
    Komm näher, fauchte es aus dem Schlund des Mahlstroms empor. Du kannst mir nicht entkommen.
    Während er noch mit sich rang, um der Versuchung zu widerstehen, geschah plötzlich etwas, das ihn schlagartig wachrüttelte.
    Tief unter ihm, jenseits der Decke aus Wasserdampf und den Bögen aus Spritzwasser, die sich dann und wann wie Brücken über dem Abgrund bildeten, flammte gleißende Helligkeit auf.
    Im ersten Moment hielt er es für eine weitere Wolke aus Wassertropfen, schneeweiß und dichter als die anderen.
    Dann aber erkannte er, dass die gesamte Wolkendecke glühte, als sei ein Blitz eingeschlagen und habe für den Bruchteil eines Atemzugs die ganze Welt entflammt.
    Eine Fontäne aus Licht schoss aus der Tiefe herauf und stand nur wenige Steinwürfe von Griffin entfernt im Zentrum des Mahlstroms wie eine Säule aus flirrendem, loderndem Feuer.
    Der Rochen bäumte sich auf, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand geflogen. Griffin brüllte erschrocken auf, sackte in die Haltegurte und kämpfte sekundenlang darum,

Weitere Kostenlose Bücher