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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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durchs ganze Zimmer.
    Der Zufall wollte es, dass sie neben einem der Fenster gegen die Wand krachte. Stöhnend wollte sie hochkommen, doch aus irgendeinem Grund spielte ihr Gleichgewichtssinn nicht mit. Dann erst verstand sie: Der Boden war nicht mehr gerade. Das ganze Haus lag schräg wie ein Schiff im Sturm!
    Die hölzernen Fensterläden war von einem Querschläger zerschmettert worden, wahrscheinlich schon vor Stunden, und so fiel ihr Blick ungehindert hinaus auf den Platz.
    Im ersten Moment begriff sie nicht, was sie dort sah.
    Etwas wie ein Hurrikan hatte die Stadt gepackt. Überall waren Wasser, Gischt, grauer Schaum und Menschen in Panik. Doch das war nur ein Vorgeschmack auf das, was jenseits davon näher kam.
    Eine graue Wand.
    Der Mahlstrom, durchfuhr es sie beinahe sachlich. Er ist hier, er holt uns alle.
    Aber es war nicht der Mahlstrom. Es war der Ozean selbst, der sich gegen sie erhob.
    Und dann, in jenen endlosen, unwirklichen Sekundenbruchteilen, bevor die eigentliche Flutwelle Aelenium traf, sah sie noch etwas.
    Der Verteidigungswall war verschwunden, fortgerissen von den ersten anbrandenden Wassermassen. Und mit ihm alle Menschen, die sich darauf befunden hatten. Dort, wo Soledad selbst eben noch gekämpft hatte, war nur noch Leere. Buenaventure und alle anderen waren fort.
    Die Flutwelle sah aus wie Wasser, verhielt sich wie Wasser, und für die Ertrinkenden schmeckte sie gar während ihrer letzten schrecklichen Augenblicke wie Wasser. Doch in jenen Sekunden, als sie Aelenium traf, schien sie aus solidem Stein gehauen und zermalmte Menschen, Korallen und Schiffe am Ufer gleichermaßen unter sich.
    Das größte Wunder inmitten all diesen Unglücks, des Sterbens und dieses absoluten Gefühls des Zu-Ende-Seins, war die Tatsache, dass die Ankerkette standhielt.
    Es gab eine Reihe weiterer, im Verhältnis dazu gewiss geringerer Wunder, die nichtsdestoweniger für einige Menschen ebenso großartig und gnadenvoll waren.
    Da war das kleine Mädchen, das sich mit seinem Bruder aus den Fluchthallen im Kern gestohlen hatte, um von oben der Schlacht zuzusehen; es wurde im letzten Augenblick von einer Rochenschwinge aufgefangen, als eine Wasserfontäne es von einem Hausdach spülte.
    Da war der Kannibale, der sich vor den Fluten auf einem Standbild in Sicherheit brachte und einen Gardisten zu packen bekam, als dieser von den Fluten fortgerissen wurde; der Eingeborene zog den Mann neben sich auf die Schultern der Statue, und dort saßen sie schweigend nebeneinander, eben noch Todfeinde, die sich nun einem gemeinsamen, unfassbaren Gegner gegenübersahen.
    Da war der Smutje eines Piratenschiffs, der nur überlebte, weil er sich im letzten Moment kopfüber in ein halb leeres Apfelfass stürzte. Und während unter ihm der Rumpf des Seglers in Stücke brach, blieb er auf rätselhafte Weise unversehrt und wurde später bewusstlos, aber lebendig in seinem Fass treibend aufgefunden, immer noch mit dem Kopf nach unten; er fuhr nie wieder zur See und rührte in seinem Leben keinen Apfel mehr an.
    Dann war da der kleine Trupp Gardisten, der sich auf das Dach des einzigen Hauses retten konnte, das im Dichterviertel unzerstört blieb. Und die alte Frau, die trotz ihres hohen Alters noch an den Wall gehumpelt war und gegen die ersten Wogen mit erhobenem Stock antrat wie ein Soldat, der den Säbel gegen eine feindliche Übermacht schwingt; auch sie überlebte, halb ertrunken zwar, aber kräftig genug, um sich zu erholen. Und der Arzt, der sich in seiner Verzweiflung mit dem Rücken gegen die Tür des Lazaretts stemmte, um die vielen Verwundeten mit seinem Körper vor dem Wasser zu schützen; tatsächlich flossen die Fluten um das Haus herum, was daran liegen mochte, dass irgendein Gott ein Einsehen hatte oder dass das Gebäude unmerklich höher lag als seine nächste Umgebung.
    Es gab viele solcher Episoden, aber auch noch weit mehr, die unglücklich endeten, im Tod und spurlosen Verschwinden vieler Menschen.
    Es traf vor allem die Angreifer. Die Flutwelle war hoch genug, die beiden unteren Drittel Aeleniums zu verwüsten, und dort befanden sich zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Kannibalen und Piraten, die hinauf zum oberen Wall eilten. Sie alle wurden fortgerissen. Von den dutzenden Schiffen am Ufer blieb kein einziges übrig, und die wenigen Menschen, die während der Schlacht an Bord geblieben waren, ertranken bis auf eine Hand voll jämmerlich.
    Auch der Verteidigungswall wurde zerstört. Auf ihm starben Kämpfer beider

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