Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
Herzschlag raste, als sie in die Kammer bog.
»Walker?«
Ein Mann stand am anderen Ende des Raumes, breitschultrig, in schwarzer Kleidung. Er hielt eine blankgezogene Klinge in der rechten Hand, eine Pistole mit gespanntem Hahn in der linken. Sein Gehrock war krustig von Schmutz und Blut, doch er selbst schien unverletzt zu sein. Der lange schwarze Pferdeschwanz an seinem kahlen Hinterkopf war zerzaust und sah aus, als sei er zu nah an ein Feuer geraten. Das Furchteinflößendste aber waren die Kriegsbemalungen, die im Wasser auf seinem Gesicht verlaufen waren; als seien seine Züge geschmolzen und zu bizarren neuen Formen erstarrt.
Walker lag leblos vor ihm am Boden. Tyrone hatte seinen rechten Fuß auf den Brustkorb des Captains gestellt, wie ein Feldherr, der für ein Siegerstandbild posiert.
»Ich habe dich erwartet, Prinzessin«, sagte der Kannibalenkönig und fletschte grinsend die spitz gefeilten Zähne.
Wo ist Jolly?
Griffin spürte, daß der Rochen unter ihm müde wurde.
Die Flügelschläge des Tiers wurden immer langsamer, und es hatte Mühe, die große Höhe beizubehalten, in der sie über dem Ozean schwebten.
Die Wasserkaskaden der Eruption hätten Griffin beinahe aus dem Sattel gerissen. Der Rochen war bereits weit genug vom Zentrum des Mahlstroms entfernt gewesen, doch selbst die Ausläufer der titanischen Wasserexplosion waren in tonnenschweren Fontänen rund um sie niedergegangen.
Jetzt aber, da die große Wassersäule in sich zusammengesunken und die Flutwellen in alle Richtungen davongerollt waren, glättete sich die See unter ihnen allmählich. Von hier oben - sechshundert, siebenhundert Fuß über den Wellen - sah es beinahe so aus, als wäre nichts geschehen. Gewiss, der Seegang war stürmisch, und das erschien umso seltsamer, da keine Wolken am Himmel hingen und es nicht einmal besonders windig war.
Das Wunderbarste aber, viel erstaunlicher als Wellen ohne Wind, war die Tatsache, dass der Mahlstrom verschwunden war.
Erst hatte Griffin geglaubt, die Flut sei eine Waffe, die ihre Feinde eingesetzt hatten, um Aelenium und die Karibischen Inseln zu verwüsten. Doch jetzt, eine ganze Weile später, setzte bei ihm allmählich die Erkenntnis ein, dass der Mahlstrom nicht mehr existierte. Er war zerstört. Ihr größter Gegner hatte einfach aufgehört zu sein.
Tief im Inneren des Strudels schien etwas explodiert zu sein, daher das gleißende Licht, das aus dem Herzen des Wirbels emporgeschossen war; und dann hatte dieselbe Kraft den Mahlstrom wie eine leere Hülle aufgebläht und schließlich in sich zusammenfallen lassen. Die tobenden Wände des Wassertunnels waren aus dreißigtausend Fuß Höhe ineinander gestürzt wie Mauern eines unfassbaren Bauwerks. Die dabei entstandenen Gewalten hatten die Welle verursacht.
Wo war in all diesem Chaos Jolly geblieben? Und was war aus Aelenium und seinen Freunden geworden?
Die Welle hatte sich wie ein wanderndes Gebirge auf die Seesternstadt zugeschoben. Griffin war lange genug zur See gefahren, um zu wissen, wie hart Wasser sein konnte. Das, was die Stadt getroffen hatte, musste sich angefühlt haben wie eine Wand aus Diamant, eine Macht, vor der man nicht fliehen konnte und gegen die es keine Gegenwehr gab; etwas, das so nah am Zentrum der Detonation eine kolossale Kraft entfaltet und alles in seinem Weg zermalmt haben musste.
Als er nach Süden blickte, war der Horizont dort verschwommen und grau. Zumindest der Nebelring um Aelenium schien noch immer Bestand zu haben. Doch was dahinter lag? Er wagte nicht, sich das Ausmaß der Zerstörung auszumalen.
Er fühlte sich sehr allein hier oben auf seinem Rochen. Was, wenn er der einzige Überlebende der Seesternstadt war? Wenn alle anderen zerquetscht worden oder ertrunken waren?
Seine Hände krallten sich um die Zügel, seine Fingernägel bissen in die Ballen. Die Wunden, die das Wyvern ihm zugefügt hatte, taten jetzt wieder höllisch weh. Seine linke Seite loderte abwechselnd in heißem und kaltem Feuer.
Und dann sah er den einsamen dunklen Punkt unten auf dem Wasser.
Ein Trümmerstück - oder ein Mensch?
»Tiefer!«, rief er dem Rochen zu.
In einem weiten Bogen sank das Tier abwärts, der blaugrauen Wasseroberfläche entgegen. Weiße Schaumkronen überzogen die See mit einem feinen Gespinst, das von oben wie ein Fischernetz aussah.
Inmitten dieses Netzes trieb eine Gestalt auf den Wellen.
Nein, sie lief auf den Wellen und hatte allergrößte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Der
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