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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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führte.
    Jolly und Munk glitten vom letzten Plateau steil nach unten, und als sie wenig später über die Schulter sahen, erhoben sich hinter ihnen die Felsen wie ein Wald aus versteinerten Mammutbäumen. Es war ein majestätischer und zutiefst beängstigender Anblick. Wären sie wirklich zu Fuß gegangen, wie es ihnen der Händler geraten hatte, hätten sie sich in diesem Irrgarten rettungslos verlaufen.
    Dies war eine beklemmende Einsicht, aber auch eine, die Jolly neues Selbstvertrauen schenkte. Offenbar war es gar nicht so schlecht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Bislang jedenfalls waren sie damit gut gefahren.
    Die Ebene endete schon bald und ging in eine Ansammlung bizarrer Felsbrocken über. Zerklüftete Formationen reckten sich ihnen wie versteinerte Hände entgegen.
    »Das sind Korallen«, entfuhr es Munk.
    »Sieht aus wie« - Jolly zögerte -, »wie Bruchstücke einer Riesenkoralle!« Einer Eingebung folgend, stieß sie sich vom Boden ab und schwebte aufwärts.
    Der Anblick von oben war wie ein Schlag ins Gesicht.
    Munk war plötzlich neben ihr.
    »Das sind Trümmer«, flüsterte sie. »Trümmer einer versunkenen Korallenstadt.«
    Munk nickte gebannt. »Wie Aelenium«, presste er hervor.
    Deutlich waren die Überreste einzelner Häuser zu erkennen, gewachsene Strukturen, die irgendwer ausgehöhlt und umgeformt hatte; riesenhafte Splitter, auf deren Oberflächen gemeißelte Treppen verliefen; geborstene Türme, die beim Aufprall auf dem Meeresgrund wie Porzellan zersprungen waren; Dächer und sogar die Fassade eines Palastes, die flach auf dem Rücken lag wie das Bruchstück eines eingefallenen Kartenhauses.
    Munk war so bleich wie ein Gespenst.
    Auf einmal hob er den Arm, deutete in die Tiefe und erstarrte. »Jolly!«
    »Was?«
    »Da unten hat sich was bewegt!«
    Ihr Blick folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger hinab in die düsteren Korallenberge. In dem geborstenen, gesplitterten Gewirr war nichts zu erkennen. Der Anblick hatte Ähnlichkeit mit einem ins Gigantische vergrößerten Scherbenhaufen.
    »Was war es denn?« Ihre Zunge fühlte sich geschwollen an. »Ein Fisch - oder etwas Größeres?«
    Munk räusperte sich, dann kreuzte er mit zerfurchter Stirn ihren Blick.
    »Ein Mensch«, sagte er. »Ein Mädchen.«

Aina

    »Ein Mädchen?« Jolly starrte Munk an, als hätte er verkündet, er wolle jetzt gerne Blumen pflücken. »Hier?«
    Er nickte unbehaglich. »Ich hab sie gesehen. Da unten.«
    Jolly musterte ihn noch einen Moment länger, dann sah sie an seinem ausgestreckten Arm entlang hinab in die Trümmerlandschaft der versunkenen Korallenstadt. Es war ein unheimlicher Anblick, der ihr Blickfeld bis zum Rand der Quappensicht ausfüllte: Sand und Muschelkolonien hatten sich auf den geborstenen Ruinen abgelagert, wenn auch nicht genug, um die darunter liegenden Formen völlig zu entstellen.
    Wann und warum war die Stadt wohl gesunken? Wer hatte sie zerstört?
    Und, vor allem, weshalb hatte ihnen niemand davon erzählt?
    Die Stelle, auf die Munk zeigte, lag öde und unwirtlich hinter dem ewigen Schleier aus Grau, in den die Quappensicht den Meeresboden tauchte. Es war eine sandige Schneise zwischen zwei turmhohen Trümmerstücken, das eine ein unförmiger Block voller Höhlen und Risse, das andere offenbar Teil eines ehemaligen Palastes, mit behauenen Säulen und einer Vielzahl von Zimmern. Der Aufprall hatte das Gebäude entzweigebrochen, sodass man in die offenen Zimmer blicken konnte wie in das Innere eines Puppenhauses. Sie waren leer und mit Muscheln überzogen, alle Möbel schon vor Äonen zu Staub zerfallen.
    »Da ist niemand«, sagte Jolly.
    »Sie war da, glaub mir.« Munk gab es auf, Jolly überzeugen zu wollen, und breitete die Arme aus. Sie waren hoch über die Trümmer aufgestiegen, um einen besseren Überblick über die Ruinenlandschaft zu haben; jetzt tauchte er wieder abwärts, geradewegs auf die Schneise zu.
    »Munk, warte!«
    »Du glaubst mir nicht!«
    »Doch. Aber wir müssen vorsichtig sein.«
    Er hielt schwebend inne und drehte sich zu ihr um. Trotz des allumfassenden Graus schien es ihr, als wäre sein Gesicht vor Aufregung gerötet. »Wenn es wirklich ein Mädchen war, Jolly, dann muss sie eine Quappe sein. Genau wie wir.«
    Sie nickte benommen. Falls er sich nicht getäuscht hatte, gab es nur diese eine Erklärung.
    Eine dritte Quappe.
    Und wo eine dritte war, mochte auch noch mehr sein. Gott weiß wie viele.
    »Mir gefällt das

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