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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gehabt, als wollten sie eigenhändig in das Geschehen eingreifen.
    Sie hätte gerne mit Munk darüber gesprochen, und sie wusste sehr wohl, dass es nur fair gewesen wäre - aber etwas ließ sie davor zurückscheuen. Sie hatte Soledad von den Weberinnen erzählt, nicht aber dem Händler, und noch immer war ihr der Grund für ihr eigenes Stillschweigen unklar. Vielleicht, weil ihr die Weberinnen Dinge über Aelenium und den Geisterhändler offenbart hatten, die er selbst nicht der Erwähnung wert befunden hatte. Dass er einmal ein Gott gewesen war, zum Beispiel; was es mit Urvater und den anderen Gründern der Seesternstadt auf sich hatte; und dass die Meister des Mare Tenebrosum vielleicht gar keine Ausgeburten purer Boshaftigkeit waren, sondern nur dasselbe für sich beanspruchten, was auch Urvater vor langer Zeit eingefordert hatte: nicht weniger als eine Welt.
    Womöglich war es ein Fehler, die Erklärung der Weberinnen vor Munk zu verbergen. Andererseits war Munk seit langem ein Vertrauter des Geisterhändlers, und auf dem Spielbrett in ihrem Kopf beanspruchten beide mehr oder minder dasselbe Feld. Was Jolly dem Händler gegenüber verschwieg, hielt sie besser auch vor Munk geheim.
    Falls er erkannte, was in ihr vorging, sprach er sie nicht darauf an. Wie sie stieß er sich vom Boden ab, und gemeinsam schwammen sie nach oben, erst sehr schnell, dann aber vorsichtiger, aus Sorge, die Macht des Mahlstroms könnte erneut über das Felsenland rollen.
    Oben angekommen, entdeckten sie, dass sich nicht viel verändert hatte. Nur der Sandstaub, der zuvor die Felstürme bedeckt hatte, war zu einem Großteil in die Spalten gespült worden; die Oberflächen wirkten jetzt sauberer, manche wie blank geschmirgelt. Schaudernd fragte sich Jolly, was wohl geschehen wäre, wenn sie in dieses Chaos geraten wären. Hätte ihnen der aufgewühlte Sand das Fleisch von den Knochen gerissen?
    »Schwimmen oder laufen?«, fragte Munk, während sie vorsichtshalber nahe bei einer Kante blieben, um im Ernstfall blitzschnell abtauchen zu können.
    Jolly schaute nach unten. Der Grund der Schlucht war wieder im Dunkel versunken, so als verliefe dort ein tiefer schwarzer Fluss. Dann blickte sie in die Richtung, in der die Strömung des Mahlstroms davongedonnert war. Auch dort wies nichts auf eine drohende Gefahr hin. Sie stellte sich das Prinzip vor wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft: Der Mahlstrom sandte Wellen aus wie Ringe, die sich in alle Richtungen fortbewegten und irgendwann verebbten. Hatten sie das Pech, in einen dieser Ringe zu geraten, würde sie das womöglich töten, zumindest aber dem Mahlstrom verraten, dass sie hier waren.
    »Wir schwimmen«, beantwortete sie Munks Frage.
    »Was bleibt uns anderes übrig? Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    Er nickte, wirkte aber nicht gänzlich überzeugt. Ihm mussten ähnliche Schreckensvisionen durch den Kopf spuken wie ihr selbst.
    »Passen wir halt auf«, sagte sie schulterzuckend und gab sich Mühe, möglichst entspannt zu wirken. Ein Blick in seine Richtung genügte, um zu erkennen, dass er ihr diese Gelassenheit nicht eine Sekunde lang abnahm.
    Er atmete einmal durch und setzte sich in Bewegung. Noch niedriger als zuvor glitten sie über die Felsplateaus hinweg.
    Nach einer Weile, die ihnen wie viele Stunden vorkam, beschlossen sie, in einer Höhle im oberen Teil einer Felswand Rast zu machen. Eigentlich war es keine wirkliche Höhle, nur eine Vertiefung, die ihnen behelfsmäßig Schutz bot, jedoch nicht tief genug war, um irgendetwas Unvorhergesehenes zu beherbergen. Etwa einen schlafenden Riesenkraken.
    Sie aßen umständlich von ihrer wasserfesten Verpflegung, tranken noch viel umständlicher aus den Saugrohren ihrer Flaschen und ruhten schließlich ein wenig aus. Keiner hatte vor einzuschlafen, aber als der Schlaf schließlich dennoch kam, war er von jener Sorte, bei der man nach dem Aufwachen nur noch erschöpfter ist: Tief genug für schlechte Träume, aber nicht so tief, dass er neue Kraft spendet.
    Als sie wieder aufbrachen, waren beide zu müde, um zu sprechen. Tag und Nacht existierten am Meeresgrund nicht, und da es auch sonst nichts gab, mit dessen Hilfe sie die Zeit bestimmen konnten - keine Sonne, keine Gestirne, nicht einmal Ebbe und Flut -, verloren sie schon bald jedes Gefühl für die Dauer ihres Marsches.
    Irgendwann erreichten sie das Ende des Felsenlabyrinths. Vor ihnen öffnete sich eine weite Ebene, die bis zum Rand der Quappensicht sanft abwärts

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