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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht«, sagte sie, folgte ihm aber, als er sich wieder abwärts wandte. Sie waren jetzt ungefähr fünfzehn Schritt über dem Grund der Schneise. Für Jollys Geschmack waren sie den bedrückenden Trümmern bereits viel zu nahe gekommen. Wäre es nach ihr gegangen, hätten sie die Ruinen umrundet. Sogar ein weiter Umweg mochte sich letztlich als Zeitersparnis erweisen, falls ihnen in den Ruinen Gefahr drohte.
    Sie konnte die Bedrohung förmlich im Wasser schmecken. Es war, als schrien ihr alle ihre Sinne eine verzweifelte Warnung entgegen.
    Munk ließ sich nicht aufhalten. Es erstaunte und erschreckte Jolly, wie leichtfertig er ihre Mission aufs Spiel setzte.
    »Wenn es nun ein Klabauter war«, sagte sie.
    Er schaute sich nicht einmal zu ihr um. »Ich kann ein Mädchen von einem Klabauter unterscheiden.«
    Munk erreichte den Meeresboden als Erster. Staub wölkte empor, als er die Füße aufsetzte und sich umschaute.
    Jolly verharrte über ihm und ließ ihrerseits den Blick schweifen. Weniger noch als die schachtelförmigen Querschnitte der Palastzimmer, die rechts von ihnen emporwuchsen, gefiel ihr das unförmige Korallenungetüm zu ihrer Linken. In den Öffnungen hatten sich weiße Pflanzen angesiedelt - also doch -, die wie Leichenfinger in unsichtbaren Strömungen wehten und ihnen abwechselnd zuzuwinken oder sie fortzuweisen schienen.
    »In welcher Richtung ist sie verschwunden?«, fragte Jolly.
    »Dorthin.« Munk deutete den Verlauf der Schneise entlang.
    Gut, dachte sie, immerhin will er nicht die Höhlen und Spalten durchsuchen.
    Die wehenden Pflanzenarme waren teigig wie das Fleisch einer Wasserleiche. Jolly hörte die Laute, die sie verursachten, wenn sie aneinander rieben: ein Schlürfen und Schmatzen, als verberge sich hinter ihnen etwas, das gerade gierig seine Beute verschlang.
    Die Trümmerberge um sie herum wuchsen immer mehr in die Höhe, während sich die beiden jenen Teilen der Ruinen näherten, die augenscheinlich einmal das Zentrum der Stadt gebildet hatten. Offenbar war die Korallenstadt nicht an der Oberfläche zerstört worden, jedenfalls nicht vollständig. Sie war erst beim Aufprall am Meeresgrund in hunderte von Stücken zerborsten, hatte dabei aber teilweise ihre ursprüngliche Aufteilung beibehalten. Die Stadt musste ähnlich aufgebaut gewesen sein wie Aelenium, angeordnet um eine Art Bergkegel oder eine massivere Korallenformation in der Mitte. Allerdings entdeckte Jolly nirgends Bruchstücke eines Riesenseesterns. Falls es einen gegeben hatte, waren seine Reste irgendwo unter den übrigen Trümmern begraben.
    »Was denkst du?«, fragte Munk unvermittelt, während er immer noch angestrengt Ausschau in alle Richtungen hielt.
    »Über das Mädchen?«
    »Über die Stadt.«
    »Ich wüsste gern, warum es niemand für nötig gehalten hat, sie irgendwann mal zu erwähnen.« Sie warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. »Oder hat Urvater sie erwähnt? Als ich nicht dabei war?«
    Er schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Nein, hat er nicht.« War da zum ersten Mal ein Funke von Misstrauen gegenüber seinem Lehrer? Enttäuschung vielleicht? Munk war immer der wissbegierigere der beiden Quappen gewesen. Er hatte weit mehr Zeit mit Urvater verbracht als die ungeduldige und aufsässige Jolly.
    Er zögerte kurz, dann fuhr er fort: »Ist es möglich, dass Urvater und die anderen gar nichts davon wissen?«
    »Ach, komm schon.« Sie machte ein verächtliches Geräusch. »Natürlich wusste er davon. Und ganz sicher hat er nicht einfach nur vergessen, uns davon zu erzählen.«
    »Dann wollte er möglicherweise, dass wir die Stadt selbst finden.«
    »Ach ja?« Du machst es dir ganz schön einfach, dachte sie kopfschüttelnd. »Vielleicht hat er ja geglaubt, dass längst nichts mehr davon übrig ist. Ich meine, er mag eine Menge wissen, aber er war schließlich noch nicht hier unten.«
    Jedenfalls nicht in der letzten Million Jahre. Sie dachte über die Worte der Wasserweberinnen nach. Wenn Urvater dies alles tatsächlich erschaffen hatte, warum war er dann heute so hilflos? Er war nichts anderes als ein alter Mann, der sich in einer schwimmenden Stadt auf dem Meer versteckte. Kaum vorzustellen, dass er einmal die Macht gehabt hatte, aus dem Nichts heraus eine ganze Welt zu erschaffen. Und noch viel schwerer war zu begreifen, dass ebenjene Macht heute in einem gebrechlichen Körper dahinvegetierte und auf ein Ende wartete, das vielleicht niemals kommen würde. Falls Aelenium unterging, würde Urvater dann

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