Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
als wäre sie nicht älter als fünfzehn.
Jollys Knie wurden weich, und einen Moment lang hielt sie sich nur mit Mühe auf den Beinen. Wenn Aina so lange leben konnte, was hieß das dann für die anderen Quappen? Für sie selbst?
Sie räusperte sich mit Mühe. »Aina«, sagte sie, »bist du eine von denen, die damals gegen den Mahlstrom gekämpft haben? Hast du ihn in der Muschel im Schorfenschrund eingesperrt?«
Der Hauch eines Lächelns huschte über die ebenmäßigen Züge des Inselmädchens. »Ich habe den Mahlstrom gesehen«, sagte sie zögerlich. »Ich kenne den Weg.«
Munk schien sich entschieden zu haben, Jollys Vermutung einfach zu übergehen. »Dann kannst du uns zeigen, wie wir am schnellsten dort hinkommen.«
Jolly stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. »Munk, verdammt…!«
Er fuhr herum, und für einen Augenblick sah es aus, als würde ihr lange gärender Konflikt hier und jetzt entschieden, in den Trümmern einer vergessenen Korallenstadt, viele tausend Fuß unter der See und vor den Augen dieses rätselhaften Mädchens. Mehrere Herzschläge lang schien es, als wollte Munk sich auf Jolly stürzen, nicht mithilfe der Muschelmagie oder irgendwelcher anderer Tricks, sondern mit bloßen Fäusten.
Er hält mich für überflüssig, durchfuhr es Jolly. Er denkt, dass ich ihn nur behindere. Dass ich hier unten ohnehin nicht von Nutzen bin, weil er viel mächtiger ist als ich.
Und das Schlimme ist, dachte sie, dass er Recht hat. Ich bin überflüssig.
Sie hatte den Gedanken kaum gefasst, als sie sich schon selbst widersprach: Nein, bin ich nicht. Wenn er so arglos der erstbesten Erscheinung vertraut und dabei das Schicksal der ganzen Welt aus der Hand gibt, dann ist es gut, dass ich bei ihm bin. Und wenn auch nur, um auf ihn Acht zu geben. Auf ihn und auf das, was er tut. Auf seinen dummen Hang zum Leichtsinn.
Er braucht mich, dachte Jolly. Er weiß es nicht, will es nicht wahrhaben - aber er ist auf mich angewiesen. Und ich auf ihn, wenn ich hier jemals wieder lebend rauskommen will.
»Ich kann euch zum Mahlstrom führen«, sagte Aina, aber es klang, als wäre es keine Bestätigung dessen, was Munk gesagt hatte, sondern ein Einfall, der ihr gerade erst gekommen war. »Ich kann euch helfen. Aber werdet ihr auch mir helfen?«
Wobei?, wollte Jolly fragen, aber Munk kam ihr zuvor. »Sicher«, sagte er.
»Ich werde es euch erklären«, sagte Aina. Ihre Augen waren so groß und dunkel. Jolly versuchte, in ihnen zu lesen, doch da war nichts, was sie hätte erkennen können.
Das Mädchen schaute sich suchend um. »Aber nicht hier. Es ist zu gefährlich.«
»So?«, fragte Jolly argwöhnisch und erntete dafür einen mahnenden Seitenblick von Munk. Aber sie ließ sich nicht beirren. »Wenn du eine der Quappen von damals bist, musst du dem Mahlstrom entkommen sein, stimmt’s? Du warst gerade auf der Flucht, als du uns über den Weg gelaufen bist. Ziemlicher Zufall, oder?«
Aina sah Hilfe suchend zu Munk hinüber.
»Jolly«, sagte er scharf. Aber er war noch nicht völlig verblendet und wandte sich wieder an Aina.
»Hast du irgendwelche… Beweise, für das, was du sagst?«
Gott sei Dank, dachte Jolly erleichtert.
»Beweise?« Aina riss erschrocken die Augen auf.
»Sieh mich an - ich hab ja nicht mal Kleider.«
Dieses Biest!, durchfuhr es Jolly.
Munk sah zu Jolly herüber. »Da hat sie Recht.«
»Oh, Munk, das kann nicht dein Ernst sein!«
Aina runzelte die Stirn. Offenbar war es ihr unangenehm, in der Schusslinie eines Streits der beiden zu stehen. Rasch ergriff sie abermals das Wort. »Bitte hört mich an. Und dann entscheidet selbst.« Sie verstummte kurz und blickte besorgt an den Trümmerhängen rechts und links der Schneise empor.
Munk trat neben sie. »Keine Angst.« Seine Stimme klang sanft und beruhigend. »Wir werden uns ein Versteck suchen. Irgendeine Stelle, wo man uns von oben nicht so leicht finden kann. Und dann kannst du uns alles erzählen.«
»Ich habe so eine Stelle gesehen«, sagte Aina. »Ein Stück weiter unten. Da ist ein Überhang, ich habe mich dort ausgeruht.«
Jolly sah nachdenklich von einem zum anderen. Noch immer konnte sie ihr Misstrauen gegenüber dem Mädchen nicht abschütteln. Doch sie musste sich eingestehen, dass es nur fair war, Aina anzuhören. Zudem wirkte das Mädchen tatsächlich nicht allzu gefährlich. Ganz im Gegenteil: Sie spürte, wie Ainas Verletzlichkeit auch ihr Mitleid erregte.
Nach kurzem Zögern folgte sie Aina und Munk entlang der Schneise
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