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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hangabwärts. Hier und da bemerkten sie nun doch kleine Lebewesen zwischen den Trümmern, farblose Krebse und blinde schabenartige Kreaturen, die sich schwerfällig über den Boden schoben. Offenbar war die Tiefsee nicht so ausgestorben, wie sie anfangs vermutet hatten. Dafür sprachen auch die hässlichen Albinopflanzen, die überall zwischen den Ruinen wuchsen und mit ihren stummelförmigen Auswüchsen unsichtbare Nahrung aus dem Wasser fischten.
    Die Schneise verbreiterte sich und führte über einen bodenlosen Spalt zwischen mächtigen Bruchstücken hinweg. Sie schwammen darüber hinweg und erreichten eine Art Plateau, bei dem es sich in Wahrheit um die spiegelglatte Bruchkante eines titanischen Korallenstücks handelte. Ringsum lagen Trümmer.
    »Dahinter ist die Stelle.« Aina deutete über den bizarren Platz hinweg, wo sich an den Grenzen ihrer Quappensicht weitere Korallenberge auftürmten.
    »Das Gelände ist zu offen«, sagte Jolly zu Munk.
    »Wenn jetzt eine der Strömungen kommt, sind wir ungeschützt.«
    Er gab ihr Recht, wenn auch widerwillig, und so umrundeten sie den Platz im Schutz der Trümmerhaufen. Aina hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie schien beinahe ein wenig zu erschrecken, als ihr bewusst wurde, dass sie die offene Fläche schon einmal überquert hatte.
    Schließlich erreichten sie den Ort, den das rätselhafte Mädchen gemeint hatte. Jolly musste zugeben, dass es ein solides Versteck war. Kein perfektes. Kein durch und durch sicheres. Aber eines, in dem sie für den Augenblick unterschlüpfen konnten.
    Es war ein Turm, der nahezu aufrecht stand und dessen obere Hälfte beim Aufprall am Meeresgrund eingestürzt war. Im Inneren hatte sich eine trichterförmige Halde aus Bruchstücken gebildet. Hier gab es keine Pflanzen und keine Krebse. Das Beste aber war, dass andere Trümmer oben auf die Öffnung gestürzt waren und sie verschlossen hatten wie ein Dach. Es gab zwei Zugänge: den alten Eingang und eine Fensteröffnung weiter oben, zu der sie im Ernstfall mühelos hinaufschwimmen konnten.
    »Sieht gut aus«, sagte Munk, als sie es sich auf den Korallenhaufen leidlich bequem gemacht hatten.
    »Eine Stunde«, sagte Jolly. »Nicht mehr. Wir haben keine Zeit.«
    Er nickte, und beide wandten sich Aina zu, die sich keine Armlänge entfernt von ihnen hinkniete und die Hände auf den Oberschenkeln verschränkte. Ihr langes Haar fiel hinab bis in ihren Schoß.
    »Es ist seltsam«, begann Aina. Ihr Blick war nach innen gerichtet. »Nun ist es schon so lange her. Aber ich kann mich daran erinnern, als wären es nur einige Jahre.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr. »Wir sind damals ausgesandt worden, den Mahlstrom zu schließen. Wir gingen zu dritt, zwei Jungen und ein Mädchen. Wir waren gute Freunde.«
    Jolly und Munk wechselten einen kurzen Blick, fast ein wenig verschämt.
    »Es ist uns gelungen. Wir haben den Mahlstrom eingeschlossen, aber dabei auch uns selbst.«
    »In der Muschel?«, entfuhr es Munk mit einem Stöhnen.
    »Ja. Der Mahlstrom war nicht tot, müsst ihr wissen.
    Er hat nicht einmal geschlafen. Er war einfach nur eingesperrt, die ganze Zeit über. Und wir mit ihm.«
    Jolly brannten zahlreiche Fragen auf der Zunge, aber sie zögerte. Aus dem Mitleid für Aina wurde allmählich echte Anteilnahme. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es sein musste, tausende von Jahren mit seinem größten Feind auf engem Raum eingeschlossen zu sein.
    »Was hat er mit euch gemacht?«, wollte Munk wissen.
    »Erst haben wir Widerstand geleistet. Wir waren alle drei mächtige Muschelmagier, und am Anfang konnten wir verhindern, dass er uns etwas antat. Es sah sogar aus, als könnten wir ihn für immer von uns fern halten. Doch in einem war der Mahlstrom uns allen überlegen - er hatte alle Zeit und Geduld der Welt. Er war nicht stark genug, um die Muschelmagie aus eigener Kraft zu brechen, aber es machte ihm nichts aus zu warten. Irgendwann musste unsere Wachsamkeit nachlassen, und so kam es dann auch. Als die Jahre uns zermürbt hatten, schlug er unerwartet zu. Und von da an waren wir ihm ausgeliefert.« Aina schob sich unwohl auf den Knien hin und her. Ein Wunder, dass die scharfen Kanten ihre Haut nicht aufrissen. »Erst hat er uns gequält. Dann, als der Schmerz nicht mehr größer werden konnte, ließ er uns plötzlich in Ruhe. Er verlor einfach den Spaß daran, uns wehzutun. Vielleicht waren wir für ihn auch einfach nicht mehr wichtig genug, denn vermutlich hat er schon damals

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