Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
ängstlich hinter ihr.
    »Gibt nur einen Weg. Nicht den, den du gekommen bist. Den anderen. Führt nach oben, führt nach draußen. Sie bringen mir Fraß dorther. Lebenden, zappelnden, fetten Fraß.«
    Jolly schauderte und spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Nicht daran denken. Nur nicht weiter daran denken.
    Der zweite Tunnel, von dem Kangusta gesprochen hatte, musste auf der anderen Seite der Grotte liegen, zu weit entfernt für die Quappensicht. Aber nun, da Jolly wusste, bis wohin Kangustas Zunge reichte, würde es leicht fallen, unbeschadet dorthin zu gelangen.
    Aber da war noch etwas anderes, das sie wissen wollte. Über das, was die Klabautermutter zu Anfang gesagt hatte. Über Aina und die anderen. Jolly musste herausfinden, was mit den Quappen geschehen war. Warum hatte Aina sie verraten?
    »Wenn du geschmeckt hast, dass ich von einem anderen . Tier hier eingesperrt worden bin, dann weißt du auch, dass das keine Freundin von mir war.«
    »Hab’s geschmeckt. Das hab ich wohl.«
    »Warum gehorcht sie jetzt dem Mahlstrom? Das tut sie doch, oder?«
    Kangustas Gelächter erschütterte den Felsendom.
    »Gehorcht? Gehorcht? Du weiß nichts, kleines Tier. Nichts von der Wahrheit. Der Mahlstrom ist mächtig, das ist er. Hat meine Brut geeint, in Furcht vor ihm. Wenn er tot wäre, vernichtet . dann würden sich meine Kinder wieder bekämpfen, um meine Gunst zu erlangen. So wie es früher war. Aber die Angst schweißt sie zusammen und lässt sie alle Ehrfurcht verlieren vor mir. Lässt sie sogar das Wasser verlassen!« Ein empörtes Brüllen folgte auf diese Worte, denn Kangusta erschien es wohl undenkbar, dass ein Klabauter freiwillig an Land gehen könnte. »Wäre er vernichtet, ja, dann gäbe es welche, die wieder für mich da wären. Die mich befreiten. Und andere, die sie um meine Liebe beneiden und dafür bekämpfen würden. So wie es früher der Lauf der Dinge war. In den guten Zeiten. Den fetten, schmackhaften Zeiten.« Die Klabautermutter stieß ein Stöhnen voller Selbstmitleid aus. »Aber heute… Er hat sie verdorben. Hat sie ihre eigene Mutter vergessen lassen. Das hat er getan.«
    Die Zunge zuckte vor, peitschte in irrwitzigem Tempo durch die leere Grotte und fiel schließlich schlaff über das Gesicht Kangustas. Lange blieb sie so liegen, und außer dem Schnaufen der Klabautermutter ertönte kein Laut.
    Jolly wartete, bis sich das Ungetüm wieder beruhigte. Erst als die Zunge in Bewegung geriet und sich wie eine sterbende Seeschlange in den Schlund zurückzog, ergriff sie abermals das Wort.
    »Ich will den Mahlstrom vernichten, damit alles wieder ist, wie es damals war.« Stockend setzte sie hinzu: »Damals, in den alten Zeiten.«
    »Den schmackhaften Zeiten.«
    Jolly räusperte sich. »Genau.«
    »Du bist zu schwach.« Kangusta klang jetzt müde.
    »Das hast du selbst gesagt. Außerdem traue ich dir nicht. Du wirst den Weg nach oben finden, von hier verschwinden und mich vergessen.«
    Wie könnte ich das?, dachte Jolly angewidert. Sie hatte kein Mitleid mit Kangusta, aber sie konnte sehr wohl nachvollziehen, was im Hirn dieses uralten Wesens vorging. Einst hatten die Tiefen Stämme sie verehrt, doch nun drohte sie hier unten in Vergessenheit zu geraten.
    »Ich vernichte ihn.« Jolly war erstaunt über ihre eigene Bestimmtheit. »Ich mache dem allen ein Ende.«
    Die geschwollenen Fleischhügel um eines der Augen zuckten. »Wirst du das wirklich tun?«
    »Oder ich sterbe bei dem Versuch.«
    »Ein tapferes kleines Tier. Oder ein dummes. Vielleicht beides.«
    Ohne nachzudenken, rief Jolly: »Besser, als faul und fett und hilflos in diesem Felsen festzusitzen!«
    Kangusta schwieg, sodass Jolly schon glaubte, sie plane eine neue Gemeinheit. Dann aber stiegen abermals Worte aus dem schwarzen Schlund empor, sehr langsam diesmal, und sie wurden durch etwas wie ein vorgezogenes Echo angekündigt, das den eigentlichen Sätzen vorauseilte.
    »Du hast Recht, kleines Tier. Es gab Zeiten, musst du wissen, in denen ich stark war und mächtig. Zeiten, in denen alle vor mir gezittert haben, ganz gleich ob Klabauter oder Tiere oder die Holzfische, auf denen deinesgleichen über die Wellen reitet.«
    Demnach mussten die Inselbewohner schon vor Jahrtausenden mit Booten von Eiland zu Eiland gefahren sein, dachte Jolly. Aber warum war kaum etwas geblieben von dieser Kultur? Die Antwort gab sie sich selbst: Vermutlich hatten sich die Insulaner nie vom ersten Krieg gegen den Mahlstrom erholt. Dabei hatten sie ihn

Weitere Kostenlose Bücher