Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
Fischregen hat aufgehört«, stellte der Geisterhändler fest, als er einen letzten Blick vom Balkon der Bibliothek in die Tiefe warf. Urvaters Augen waren nicht mehr die besten, und der Händler musste ihm beschreiben, was dort unten vor sich ging. »Die Klabauter haben sich ins Wasser zurückgezogen. Aber das wird uns nicht helfen. Tyrones Flotte nimmt die Stadt unter Feuer.«
Kanonendonner ertönte vom Meer herauf. Der Rauch der Geschütze vermischte sich mit dem schwarzen Qualm aus den Ruinen am Ufer. Die Augen der beiden Männer auf dem Balkon brannten, Urvaters waren gerötet und tränten. Sein Anblick machte dem Geisterhändler einmal mehr bewusst, wie menschlich sein Gegenüber in all den Äonen geworden war.
Gemeinsam zogen sie sich ins Innere eines Büchersaales zurück und schlossen die Tür nach draußen hinter sich. Das Grollen der Geschütze wurde dumpfer, aber der scharfe Geruch der Schlacht erfüllte längst auch die hohen Hallen der Bibliothek.
»Ist es möglich, dass es dem Mahlstrom nur darum geht?«, fragte der Händler, während seine schwärzen Papageien sich rechts und links von ihm auf Bücherstapeln niederließen. »Will er uns in die Enge treiben, damit wir selbst den letzten Schritt tun?«
»Nicht wir, mein Freund. Nur du hast die Macht dazu. Meine ist längst geschwunden. In dir aber steckt noch genug von dem, was uns einmal ausgemacht hat.« Urvater lachte leise und traurig. »Im Vergleich zu mir bist du jun g«
»Das hättest du selbst auch bleiben können, wenn du es nicht vorgezogen hättest, dich an diesem Ort zu verkriechen. Die Menschen in der Welt dort draußen haben dich fast vergessen. Sie verehren etwas, das sie Gott nennen, aber sie geben ihm nicht einmal mehr einen Namen. Wärst du bei ihnen geblieben und hättest dich ihnen gezeigt . dann, vielleicht, hättest du noch immer all deine Kräfte.«
»Ich wollte das nicht mehr, du weißt das. Damals, nach dem Untergang der ersten Seesternstadt . Ach, manchmal wäre ich froh, die Erinnerung hätte mich zusammen mit meinen Kräften im Stich gelassen.«
Der Geisterhändler stützte sich auf einen Turm ledergebundener Folianten. »Wenn ich tue, was du verlangst, bringt das den Mahlstrom seinem Ziel noch näher.«
»Er hat nur den Verstand eines kleinen Mädchens, mein Freund, vergiss das nicht. Es ist der Hass eines Kindes, der ihn antreibt. Ich würde es Trotz nennen, stünde nicht so viel auf dem Spiel. Du als Einziger hast noch immer die Macht, ihn aufzuhalten.«
»Du verlangst von mir, die Geister der anderen Götter auferstehen zu lassen. Aber sie würden mir nicht lange gehorchen«, sagte der Geisterhändler. »Sie sind nicht wie Menschen, deren Seelen ich nach Belieben aus dem Abgrund heraufzerren kann. Sie sind Götter! Sie sind wie wir!«
Urvaters Finger ballten sich knöchern um seinen Stock. »Dennoch würden sie die Schlacht für uns entscheiden! Ach, könnte ich es nur selbst tun .«
Der Geisterhändler trat auf den alten Mann zu, jetzt mit einem sanftmütigen Lächeln, und nahm dessen Hand in die seine. »Du hast deine Kräfte zu Besserem eingesetzt, mein Freund. Du hast eine ganze Welt erschaffen.«
»Und nun soll ich zusehen, dass der Zorn eines einzelnen Mädchens sie zerstört! Sag mir, ist das vielleicht göttlich?«
»Aina ist längst kein Mädchen mehr. Die Meister des Mare Tenebrosum haben sie zum Mahlstrom gemacht, und das ist sie seit Jahrtausenden.«
»Aber sie handelt noch immer wie ein Kind. Damals fühlte sie sich von den Menschen verraten, die sie wegen ihrer Fähigkeiten verstoßen haben. Dabei wussten sie es nur nicht besser. Und heute fühlt sie sich von den Meistern des Mare hintergangen, weil sie ihr nicht beigestanden haben, als die ersten Quappen sie besiegten.« Urvater stieß ein verzweifeltes Seufzen aus. »Sie kann das Mare Tenebrosum nicht vernichten, aber sie kann zerstören, was die Meister sich am sehnlichsten als ihr Eigen wünsehen: meine Schöpfung. Diese Welt! Aina wird sie in Schutt und Asche legen, und das nur, weil ein paar halsstarrige Menschen sie aus ihrem Dorf geworfen haben und sie sich mit Mächten eingelassen hat, die zu groß für sie waren.«
Der Händler nickte bedächtig. »Sie wird uns vernichten.« »Wenn du sie nicht aufhältst.« Urvater stöhnte und begann, gestützt auf seinen Stock, in den Schneisen zwischen den Bücherwänden auf und ab zu humpeln. »Wir drehen uns im Kreis, seit Tagen schon.«
Er blieb stehen und kreuzte den Blick des
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