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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Der Boden fiel vor Jollys Füßen steil ab, allerdings nur ein, zwei Schritt tief, dann war da ein Untergrund, noch zerfurchter und dunkler. Zur Mitte der Höhle hin schien sich diese Oberfläche sanft aufzuwölben wie ein Hügel.
    Einen Moment lang glaubte Jolly, die Grotte müsse irgendwann einmal mit Lava voll gelaufen sein, die bald darauf erstarrt war. Der Boden war schwarz und runzelig und sah ganz anders aus als die Höhlenwände oder der Grund des Tunnels, aus dem sie gekommen war. Sie zögerte kurz, dann machte sie einen Schritt über die Kante hinweg und kam breitbeinig auf dem tiefer gelegenen Höhlenboden auf. Zu ihrer Überraschung gab er unter ihren Füßen nach und federte. Er war so weich und elastisch wie Teer, der noch nicht abgekühlt war.
    Ein markerschütterndes Kreischen hob an, wurde von den Wänden zurückgeworfen und stach wie Nadeln in Jollys Ohren. Erschrocken stieß sie sich vom Boden ab und schoss zur Grottendecke hinauf. Dort hielt sie sich in der Schwebe.
    Von hier aus hatte sie einen guten Ausblick über den Grund der Höhle, jedenfalls so weit die Quappensicht reichte. Und sie erkannte, dass das, worauf sie gestanden hatte, kein Boden war.
    Es war ein Körper.
    Ein teigiger, riesenhafter Leib, der die gesamte Grotte ausfüllte und… ja, darin feststeckte wie ein Pfropfen.
    Das Kreischen drang aus einem Maul, so groß wie ein Brunnenschacht, inmitten eines feisten, breitgelaufenen Gesichts, das sich ohne erkennbaren Hals oder Schultern am Rande des monströsen Körpers befand. Schwarze Hautfalten und halb verfaulte Zähne umgaben den Schlund, und ein Stück weit darüber - oder eher daneben, denn das Gesicht lag in der Horizontalen und starrte zur Decke hinauf - erkannte sie zwei Augenschlitze, umrahmt von fleischigen Wülsten.
    Das grässliche Wesen sah aus wie ein unendlich fetter Klabauter, den eine mächtige Faust breit geschlagen und irgendwie in diese Grotte gepresst hatte. In Wahrheit musste die Höhle ein gewaltiger Felsendom sein, sehr tief, sodass der Rest des Riesenklabauters dort unten genug Platz fand. Das, worauf Jolly blickte, war die Oberseite dieses lebenden, kreischenden Korkens. Ihr fehlte die Vorstellungskraft, sich auszumalen, was für eine Macht dieses Wesen in den Felsschacht gezwungen hatte.
    »Was? Was? Wassss?«, kam es zischelnd aus dem Maul. Öliger Speichel stieg senkrecht in verschwommenen Fäden auf; es sah aus wie rauchige Luft, die vor Hitze flimmert. »Was bist du? Was bisssst du?«
    »Jolly«, sagte Jolly.
    Sie war darauf bedacht, keinen Fingerbreit tiefer zu sinken. Ihr Kopf stieß beinahe gegen die Höhlendecke. Der seichte Hügel aus schwammigem Klabauterfleisch befand sich gut fünfzig Schritt unter ihr.
    Die Mutter der Klabauter - denn um sie musste es sich handeln, falls Aina die Wahrheit gesagt hatte - stieß einen gurgelnden Laut aus, der ohne Pause in etwas überging, das wohl eine Wiederholung von Jollys Name sein sollte.
    »Was tussssst du hier?«, fragte das Ungeheuer.
    »Ich bin eingesperrt«, sagte Jolly. »Genau wie du.«
    Erneut hob ein grässliches Brüllen und Kreischen an. Die Decke erzitterte leicht, Staub rieselte aus Spalten und Kerben. Doch das Wesen bewegte sich nicht von der Stelle. Es steckte so fest, als hätte man es eingemauert.
    »Eingesperrt, ja, ja. Das bin ich wohl. Von dieser widerlichen, schrecklichen Brut.« Das schwarze Runzelfleisch rund um die Augen war so stark geschwollen, dass sich nicht sagen ließ, ob das Wesen den Blick auf Jolly gerichtet hatte. »Meine jämmerliche, feige, verkommene Brut. Feige und verkommen, das sind sie.«
    Jolly überlegte, ob sie näher an die verzerrte Riesenfratze heranschwimmen sollte, blieb aber dann lieber, wo sie war. Die Klabautermutter mochte festsitzen und vielleicht nach all den Jahrtausenden gar keine Kraft mehr besitzen, um sich zu befreien - aber Jolly traute dem Frieden nicht. Sie sah nirgends Arme oder Beine, sie mussten unterhalb des fetten Kolosses feststecken. Aber der Anblick des gigantischen Mauls war fraglos Grund genug, die nötige Distanz zu wahren.
    »Die Klabauter sind deine Kinder?«, fragte sie.
    »Ja, ja, ja!« Die gurgelnde, zischelnde Stimme klang ungeduldig. Kein Wunder, nach so langer Zeit.
    »Wirst du mich befreien?«
    Ich kann mich gerade noch beherrschen, dachte Jolly fröstelnd, sagte aber stattdessen: »Schon möglich.«
    »Dann tu’s! Dann tu’sssss«, säuselte die Bestie.
    »Ich hab dir meinen Namen genannt, also wäre es nur höflich, wenn

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