Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
auf dem allerletzten Stück wurde ihr klar, was es war: Es war zu hell.
    Viel zu viel Licht fiel durch die Tür, so als wäre dort oben - »Wo ist das Dach?«, fragte Walker, als sie gedrängt durch den Zugang zum Speicher stolperten.
    Über ihnen gähnte graublaue Leere, durchzogen von Rauchschwaden, die der Schein der Sonne in Gold tauchte. Die beiden Giebelwände standen noch, doch die Dachschrägen waren bis auf ein paar gezahnte Überreste verschwunden.
    »Und wo, zum Teufel, steckt der Wurm?«, fragte Buenaventure. Er starrte noch einen Moment länger in den Himmel hinauf, dann erinnerte er sich an Griffin in seinen Armen. Behutsam legte er den Jungen vor sich ab. Der Fußboden war mit Fetzen des Webwerks bedeckt, in dem sich der Hexhermetische Holzwurm verpuppt hatte. Weiße und graue Knäuel wehten umher, sammelten sich in den Winkeln zu faserigen Haufen oder hingen wie Meerschaum an den zerklüfteten Resten des Dachs. Buenaventure kehrte ein wenig davon mit beiden Händen zusammen und schob es als Polster unter Griffins Hinterkopf.
    »Ich bin nicht… Mir geht es gut…«, sagte der Junge leise, und Buenaventure nickte ernsthaft.
    »Du brauchst nur ein wenig Schlaf - wie wir alle.«
    »Aber wir haben keine Zeit zum…« Griffins Stimme wurde immer leiser und verstummte dann ganz.
    Soledad beugte sich besorgt über ihn. »Was ist mit ihm?«
    »Er schläft, das ist alles«, sagte der Pitbullmann.
    »Lass ihn ausruhen. Das wird den Schmerz lindern, jedenfalls ein wenig.«
    Während Walker die Trümmer des Dachs inspizierte und in den Überresten des Netzes vergeblich nach dem Holzwurm suchte, öffnete Soledad vorsichtig Griffins Hemd und begutachtete die Wunde in seiner Seite. Es sah tatsächlich nicht allzu übel aus: eine Reihe von kurzen Schnitten, nicht tief genug, um ihn ernsthaft zu verletzen. Er hatte stark geblutet, jedoch nicht so viel, dass es ihn umbringen würde. Am schlimmsten war wohl tatsächlich der Schmerz. Die Wunden befanden sich seitlich über den Rippen und reichten womöglich bis auf den Knochen.
    Sie tupfte dem schlafenden Jungen die Stirn mit dem Ärmel ab und ließ ihn in der Obhut des Pitbullmannes.
    »Hier«, sagte Walker, der in der hinteren Ecke des Dachbodens kauerte und etwas vor sich am Boden untersuchte. »Sieh dir das an.«
    Ihre Augen verengten sich. »Ist das der Kokon?«
    »Was davon übrig ist. Hier liegen noch mehr Stücke. Den Rest hat der Wind wahrscheinlich in den Hof oder wer weiß wohin geweht.«
    Es waren faserige Bruchstücke aus weißem Webwerk, nicht unähnlich einer riesenhaften Eierschale mit zerfransten Rändern.
    Walker stieß einen der Überreste mit dem Finger an. Er schaukelte raschelnd hin und her. »Sieht nicht aus wie Schnittkanten, oder?«
    »Nein«, pflichtete Soledad ihm bei. »Scheint so, als sei das Ding auseinander geplatzt. Er ist von selbst geschlüpft.«
    Sie sah zu den Wänden, die in die Leere ragten. Es war, als hätte hier eine Explosion stattgefunden. Die Druckwelle musste alle Bruchstücke nach außen geschleudert haben. Vermutlich waren sie über das halbe Viertel verteilt, sonst hätten unten in der Gasse mehr Trümmer gelegen. Die Gewalten hatten das Dach regelrecht zerstäubt.
    »Was hast du vorhin gemeint?«, fragte Walker. »Als du gesagt hast, dir wäre ein Gedanke über den Wurm gekommen.«
    Sie erinnerte sich mit einem Schaudern an die Schlange in der Unterstadt, an dieses wundersame Wesen, dessen Anblick sie überzeugt hatte, keinem Tier, sondern einem der alten Götter Aeleniums gegenüberzustehen. Sogar jetzt, inmitten all dieser Verwüstung, spürte sie noch, dass sie beim Anblick des träumenden Wurms in seinem Kokon etwas ganz Ähnliches gefühlt hatte.
    »Der Wurm«, sagte sie, »ist kein Wurm. Glaube ich jedenfalls.«
    »Sondern?«
    »Ein Gott.«
    Walker sah sie ausdruckslos an. Wenn er jetzt lacht, dachte sie, klebe ich ihm eine.
    Doch Walker hockte reglos da und starrte sie nur an. »Ein Gott?«, wiederholte er dumpf. »Unser Holzwurm?«
    »Die alten Ägypter haben Käfer vergöttert. Und die Inder Kröten. Und die Indios im Dschungel sogar -«
    Er brachte sie mit einer Geste zum Verstummen. »Aber er . ich meine, er ist eine Nervensäge. Ein Quälgeist. Er hätte fast mein Schiff gefressen!«
    »Andere Götter haben angeblich Menschen gefressen.« Sie lächelte humorlos. »Wäre dir das lieber gewesen?«
    »Dann könnte ich dir wenigstens glauben.« Rasch setzte er hinzu: »Ich meine, ich glaube dir ja . irgendwie .

Weitere Kostenlose Bücher