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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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beinahe bewegungslos, als schwebte er auf einer Strömung.
    »Mich so zu sehen?«
    »Allein. Und so verletzlich.«
    »Verletzt, Munk - nicht verletzlich.«
    Er legte den Kopf leicht schräg - fast wie Aina es getan hatte -, während seine Fingerspitzen in einem beiläufigen Spiel umeinander tanzten. »Etwa weil Aina dich eingesperrt hat?«
    »Verraten zu werden ist viel schlimmer, als eine Niederlage einzustecken«, entgegnete sie.
    Sie hatte damit gerechnet, dass er endgültig dem Einfluss des Mahlstroms verfallen sein würde, wenn sie hier ankäme. Und doch verwirrte sie, dass er immer noch aussah wie zuvor. Nicht blass oder kränklich, ohne glühende Augen oder eines der anderen Merkmale von Besessenheit, die sie sich ausgemalt hatte. Ganz im Gegenteil - Jolly musste feststellen, dass es weit schmerzlicher war, ihn so kraftstrotzend und zufrieden zu sehen, als einem müden, verstörten Jungen gegenüberzustehen, der sich nicht gegen die Einflussnahme Ainas hatte wehren können.
    Er war freiwillig hier. Was er sagte, was er tun würde -das alles geschah aus freiem Willen und eigener Überzeugung.
    Jolly war so bestürzt darüber, dass ihre Schwimmbewegungen durcheinander gerieten und sie für einen Moment zum Boden absackte. Muschelgehäuse barsten unter ihren Füßen. Eilig stieß sie sich ab und kämpfte sekundenlang darum, in der Schwebe wieder zur Ruhe zu kommen.
    »Hab keine Angst«, sagte Munk. »Wenn sie dich hätte töten wollen, wäre das schon früher geschehen. Sie hat es mir gesagt. Sie will dich als Verbündete, Jolly, nicht als Gegner.«
    »Was hat sie dir versprochen, dass du auf sie hereingefallen bist?«
    »Versprochen?« Für einen Augenblick wirkte er ehrlich erstaunt. »Aber glaubst du denn wirklich, dass es nötig gewesen wäre, mir etwas zu versprechen? Sie hat mir nur die Notwendigkeit von alldem hier erklärt. Die Unabänderlichkeit des Ganzen, ganz gleich, was du oder ich dagegen unternommen hätten.«
    »Dann ist es viel schlimmer, als ich befürchtet hatte«, sagte sie verächtlich. »Du hast nicht einfach aufgegeben -du bist auf ihre Seite übergelaufen! Auf seine Seite - die des Mahlstroms.«
    »Du siehst das alles immer noch als Krieg an, nicht wahr? Die Guten auf der einen und die Bösen auf der anderen Seite.«
    »Nein.« Sie hatte aus den Worten der Wasserweberinnen gelernt, und sie wusste längst, dass es so leicht nicht war. »Aber andere zu töten oder zu versklaven, das kann nicht gut sein, Munk. Das weißt du. Oder hat der Mahlstrom mit deinem Gewissen auch deine Erinnerung ausgelöscht? Er hat deine Eltern ermordet. Hast du das wirklich vergessen?«
    Sie sah ihm an, dass ihre Worte ihn trafen. Gut, genauso waren sie gemeint gewesen. Er schwebte näher heran. Jetzt lagen noch dreißig Schritt zwischen ihnen.
    »Das war ein Fehler«, sagte er mit merklicher Überwindung. Oder redete sie sich das nur ein? »Ein Versehen«, fügte er hinzu.
    Sie starrte ihn mit offenem Mund an und konnte sekundenlang nichts erwidern. Ein Versehen? Der Mord an seinen Eltern? Sie schüttelte den Kopf und steckte die rechte Hand zu ihren Muscheln in die Tasche. Es war kaum genug Platz in dem schmalen Lederetui, und sie musste Acht geben, keines der zerbrechlichen Gehäuse zu beschädigen. Eine angenehme Wärme stieg durch ihren Arm empor und erreichte ihren Brustkorb.
    »Du bist nicht mehr du selbst«, sagte sie benommen.
    »Wie kommst du darauf, dass es gut sein könnte, die Meister des Mare Tenebrosum in unsere Welt zu holen? Himmel noch mal, was scheint dir daran richtig zu sein?«
    Munk schwieg einen langen Moment. In seinen Zügen zuckte es. »Das Mare Tenebrosum hat nicht mehr viel mit all dem hier zu tun«, sagte er schließlich.
    »Mit dem Mare hat es begonnen, aber mit ihm wird es nicht enden.«
    Keine zehn Schritt von ihr entfernt verharrte er. Sie befanden sich nun auf gleicher Höhe über dem Muschelmeer. Hinter Munk rotierte die Wassersäule des Mahlstroms endlos um sich selbst, ein nimmermüder Kreisel, der sich weigerte, an Schwung zu verlieren. Er rumorte und brodelte, aber das Tosen war nicht laut genug, um ihre Worte zu übertönen. Die Gesetze der Natur waren hier unten nicht nur aus den Fugen geraten, sie waren vollkommen aufgehoben.
    »Aina hat mir alles erklärt«, sagte Munk. Er schaute sich nervös um. »Die Meister des Mare Tenebrosum haben sie zum Mahlstrom gemacht, damit sie ihnen als Tor in unsere Welt dient. Doch als der Mahlstrom damals den anderen Quappen unterlegen

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