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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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er geschniegelt und gestriegelt schon vor der ausgemachten Uhrzeit auf einen. So wie ich als kleines Mädchen zählt auch er die Rufe des kleinen Vogels aus der Kuckucksuhr mit, und wenn man sich verspätet, schaut er einen mit leicht vorwurfsvollem Blick an, wobei die Betonung auf leicht liegt, weil er einem kein schlechtes Gewissen machen will.
    Anna hat erzählt, dass er sich selbst erzogen hat. »Ach, was für ein Kind!« Man muss wirklich gesehen haben, wie ordentlich er ist, wie picobello sein Zimmer aufgeräumt istund wie er darauf achtet, dass alles immer an seinem Platz ist.
    Wenn sie ihm Plätzchen gebacken hat und ihn ermuntert, kräftig zuzulangen, zählt er sie erst durch. Dann legt er welche für die Nachbarinnen beiseite – für Anna, Natascha und mich – und teilt die übrigen Plätzchen durch drei – für den Großvater, seinen Vater und sich selbst.
    Gleich zu Beginn ist Johnson junior mit Giovanninos Lehrerin aneinandergeraten, die seinen Worten zufolge eine blöde Ziege ist. Sie hatte den Kindern aufgetragen, unzählige Buntstifte zu kaufen, und zwar nicht nur ganz normale Farben wie Gelb, Violett, Blau, Rot und Grün, sondern auch so ausgefallene wie Karminrot, Rubinrot, Kobaltblau, Ultramarin, Ockergelb, Kanariengelb, Smaragdgrün, Lindgrün und so weiter. Aber er kaufte seinem Sohn nur eine Schachtel mit normalen Farben – Orange, Violett, Himmelblau, Rot und Grün.
    Giovannino sagte zu seinem Vater, dass er mit diesen Stiften bestimmt klarkomme, um ihm kein schlechtes Gewissen zu bereiten, aber dann bat er mich, mit ihm in ein Geschäft zu gehen, um genau das zu kaufen, was ihnen die Lehrerin aufgetragen hatte, und genau das, was auch die anderen Kinder hatten. Er kam nämlich erst einige Zeit nachdem das Schuljahr bereits begonnen hatte, in die Klasse und will nicht noch zusätzlich auffallen. Für ihn muss alles seine Ordnung haben. Zum Beispiel isst er zu Mittag keine Gemüsesuppe. Er sagt: »Es ist nicht die richtige Zeit für eine Minestra.Hebst du sie mir fürs Abendessen auf?« Nach dem Essen putzt sich Giovannino die Zähne, vor dem Zubettgehen wäscht er sich die Füße. Seinem Großvater und Vater zufolge muss er immer ein Haar in der Suppe finden. Zum Beispiel hasst er Knöpfe, die an einem losen Faden von seiner Jacke baumeln, oder verschiedenfarbige Socken.
    Sein Vater sieht Mr. Johnson überhaupt nicht ähnlich, das heißt, er sieht kein bisschen wie ein Amerikaner aus. Er hat dunkle Haut und krause, schwarze Haare, die seinen Kopf wie ein Heiligenschein umgeben, und die sanften Augen eines Afrikaners. Im Gegensatz zu seinem Vater ist er immer ordentlich angezogen, doch während der es eher klassisch mag, hat Johnson junior seinen ganz eigenen Stil, vor allem was die Hosen anbelangt, die er schmal geschnitten und kariert trägt wie Mr. Micawber in ›David Copperfield‹.
    Giovannino hingegen merkt man die amerikanischen Wurzeln an. Vielleicht hat er die Gene seines Großvaters geerbt, die, nachdem sie eine Generation übersprungen haben, in der nächsten wieder zum Vorschein gekommen sind.
    Giovannino und ich verstehen uns prächtig. Wir mögen beide das Gleiche. Zum Beispiel das Meer. Nicht, dass er es noch nie gesehen hätte – er ist mit seinem Vater schon an sämtliche Küsten der Welt gereist. Aber in einer Stadt wie Cagliari hat er noch nie gelebt, wo das Meer mittendrin ist, so wie die Seine mitten in Paris ist oder der Hudson mitten in New York. Er mag das Meer lieber als Flüsse, selbst beischlechtem Wetter, wenn es von durchsichtiger Gischt bedeckt ist.
    »Wir ziehen nicht mehr von Cagliari weg, nicht wahr, Papa?«, fragte er neulich seinen Vater.
    »Vorerst nicht. Wir bleiben für ein Jahr.«
    »Und wohin gehen wir in einem Jahr?«
    »Das weiß ich noch nicht. Lassen wir uns überraschen.«
    »Ich mag aber keine Überraschungen.«
    Dann fragte er mich: »Weißt du, wohin Papa und ich nächstes Jahr gehen?«
    »An einen Ort, wo man Englisch, Französisch oder Italienisch spricht.«
    »Und wenn ich beschließe, dass ich hierbleibe?«
    »Wir werden sehen.«
    »Können wir es nicht jetzt schon sehen?«
    »Ich denke schon, dass du hierbleiben kannst, wenn du das willst.«
    »Dann bleibe ich für immer hier!«
    Abgesehen von Cagliari und dem Meer mit der durchsichtigen Gischt mag er auch, dass es hier immer bergauf und bergab geht. Oft läuft er eine Straße hinauf, während ich unten auf ihn warte, um dann hinunterzurennen und sich von mir auffangen zu lassen. Für

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