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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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ihm zuliebe tun, um ihn nicht zu verletzen, aber einmal bat ihn sein Großvater, für uns ein Stück zu spielen, einen Auszug aus der›Lustigen Witwe‹, und wir waren alle ganz baff, wie schön und gekonnt er das Stück vortrug.
    »Ja, ja, die DNA!«, jubelte Johnson junior und zog seinen Vater in die Arme. »Ich habe nie an die DNA geglaubt, aber sie zählt offenbar doch, und ob.«
    »Ja, genau, die DNA …«, erwiderte sein Vater und lugte schmunzelnd hinter dem Arm seines Sohnes hervor, der ihn ganz fest an sich drückte.
    Aber es gab noch mehr Überraschungen an diesem Abend. Denn als Nächstes trat Annina auf, die, von Großvater Johnson und Enkel mit der Violine begleitet, auf Italienisch sang: »Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen, hab mich lieb! All die Schritte sagen bitte, hab mich lieb! Jeder Druck der Hände deutlich mir’s beschrieb: Er sagt klar, ’s ist wahr, ’s ist wahr! Du hast mich lieb!«
    Wir hörten nicht mehr auf zu applaudieren, und Natascha musste weinen.
    »Du bist großartig, Mama, wirklich großartig!« Sie bedeckte Annina mit Küssen und drückte sie an sich, und alle anderen stimmten ein: »Sie ist großartig, wirklich großartig!«

Neun
    S eit Johnson junior da ist, bekommt Annina pünktlich ihr Gehalt. Und zwar den doppelten Betrag. Er erklärte Anna, dass die Summe, die ihr Vater ihr angeboten hatte, lächerlich sei. Das liege daran, dass er abgesehen von dem, was er auf den Kreuzfahrtschiffen verdiene, kein eigenes Geld habe, denn alles andere gehöre Mrs. Johnson. Aber jetzt ist die Situation eine andere: Johnson junior ist Dozent an der Universität, und da Annas Wohnung auf ihn eingetragen ist, hat er beschlossen, dass sie und Natascha keine Miete bezahlen müssen.
    Daraufhin zog sich Anna etwas Elegantes an und begab sich zu ihren alten Arbeitgebern, um ihnen zu sagen, dass sie künftig nicht mehr als Haushaltshilfe arbeite. Und wenn sie in den umliegenden Läden einkauft und von ihrer neuen Situation die Rede ist, erzählt sie freimütig, dass sichihr Leben völlig verändert hat, seit sie im oberen Stockwerk wohnt, und lässt dabei durchklingen, es bestehe sogar die Möglichkeit, dass sie für immer dort einzieht.
    Wenn weder Annina noch die Johnsons in der oberen Wohnung sind, gehe ich unter dem Vorwand, dass niemand außer mir sich so gut um die Blumen kümmert, hinauf und nutze die Gelegenheit, einen Blick in die Pornohefte zu werfen. In jedem Heft gibt es neue Geschichten, und immer sind Frauen mit großen Brüsten abgebildet, wie Natascha sie hat, nur dass sie im Gegensatz zu ihr ein hässliches Gesicht haben. Die Gesichter dieser Frauen sind wahrlich kein schöner Anblick, aber vielleicht liegt es an den Mienen, die sie machen, mit ihren aufreizend geschürzten Lippen, den halb geschlossenen Augen und dem in den Nacken gelegten Kopf, als wollten sie die Haare aus der Stirn werfen. Aber erotisch sind sie, das muss man ihnen lassen. Gesicht hin oder her. Am meisten gefallen mir die Geschichten mit den frigiden Frauen, die mit einem Mal zu Nymphomaninnen werden. Eine handelt von einer Frau, die plötzlich mit jedem Mann Sex haben will, der ins Haus kommt. Ihr Mann ist ganz verzweifelt und möchte sie bestrafen, aber beim Anblick all ihrer weiblichen Reize, zumal er jahrelang zu kurz gekommen ist, überlegt er es sich anders.
    Ich würde auch gern Nymphomanin werden. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich nicht mich, das blasse, schmächtige Mädchen, sondern die Sexgranate, die ich gern werden möchte, mit riesigen Brüsten und in aufreizenderPose und ohne Haarreif, sodass mir eine Strähne meines dichten Haars übers Auge fällt, und in einem Kleid aus Lederriemchen, die man auseinanderschieben kann, damit die erotischen Stellen hervorschauen.
    Und Annina? Ob sie ebenfalls von diesen Frauen lernen möchte? Oder wusste sie schon alles? In meiner Vorstellung ist sie heiter und sanft wie die Klänge von Mr. Johnsons Geige, die die Zimmer erfüllen, zum Fenster hinausschweben, dann weiter über den Hof und die Straße entlang und schließlich übers Meer.
    Johnson junior kennt meinen Wunsch, Nymphomanin zu werden und mich eines Tages an den Menschen aus meinem Dorf zu rächen. Und weil ich außer ein paar Versen nichts zustande bringe, rät er mir, Schriftstellerin zu werden, der Traum von allen Menschen, die sonst nicht wissen, was sie tun sollen.
    Und was gibt es von Johnson junior zu sagen? Dass er furchtbar nett ist: Man braucht nur einen kleinen Scherz zu

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