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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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flowers gone.«
    Die Leute waren sich auch einig, dass die Gerichte, die sie für die Ärmsten des Viertels kochte, Flüchtlinge aus Nordafrika, Pakistan oder dem Senegal, »Haute Cuisine«verdächtig seien, und so wollte sie eine Kochausbildung machen, um eines Tages Chefköchin zu werden, aber kein Restaurant wollte sie einstellen, bis auf ihren späteren Liebhaber freilich, und wie das ausging, weiß man ja. Und was ihre selbst geschneiderten Kreationen aus alten Tischtüchern und Vorhängen betraf, so waren sie zwar wunderschön undausgefallen, aber sie taten einem in den Augen weh, weil sie alle möglichen Muster – Blumen, Streifen, Tupfen, Karos – miteinander kombinierte.
    Doch schließlich hatte das Schicksal sie hierhergeführt, in das allerschönste, prunkvollste Gebäude der ganzen Marina, wenn auch zunächst nur in die Dienstbotenwohnung im Souterrain, und von dort aus geradewegs in die Wohnung im Obergeschoss.
    Natascha meint, ihre Mama habe es immer geschafft, die Gasrechnung zu bezahlen und dafür zu sorgen, dass es ihr an nichts fehlte. Aber unter welch großen Opfern? Wobei die gar nicht nötig gewesen wären. Sie hätte einfach nur ihren Mann halten oder einen anderen finden müssen, einen ehrlichen, eine ganz normale Liebe eben. Aber ihre Mutter schien das Unheil anzuziehen. Sie lernte nur Männer kennen, die sie ausnutzten. In Nataschas Augen sind sie schuld, dass sie herzkrank wurde.
    Seit vielen Jahren ist Natascha mit einem Mann verlobt, mit dem sie schon zur Schule ging, und sie lieben sich noch immer. Aber trotzdem ist sie schrecklich eifersüchtig. Und weil sie mich hübsch und vornehm findet, hat sie sich geschworen, mir ihren Verlobten nie vorzustellen. Wenn er bei ihr ist, hängt sie ein Tuch ans Fenster, zum Zeichen, dass ich in meiner Wohnung bleiben soll; sie will nicht einmal, dass ich einen Blick auf ihn erhasche. Dabei ist Natascha wunderschön, im Vergleich zu ihr bin ich eine graue Maus. Sie hat dichtes, rotes Haar, das ihr wie eine Löwenmähne aufdie Schultern fällt, grüne, goldgesprenkelte Augen, weiblich gerundete Hüften, große, feste Brüste und ein paar wenige Sommersprossen auf der perfekten Nase. Obwohl ihre Anziehsachen so gut wie nichts kosten, weil sie ausschließlich bei Chinesen einkauft, sieht sie darin so strahlend aus, wie ich blass und farblos bin.
    Im Übrigen ist ihr Freund überaus treu, pünktlich und zuverlässig. Allerdings neigt er zur Schwermut, weil er trotz seines glänzenden Studienabschlusses genau wie Natascha keine Festanstellung findet. Er würde Natascha gern heiraten, aber ohne sichere Anstellung ist das unmöglich. Abgesehen von der schreienden Ungerechtigkeit des Lebens, der ungewissen Zukunft und ihrer Eifersucht macht sich Natascha vor allem Sorgen um die Mutter. Laut Natascha geht sie neuerdings mit einer Miene zum Arbeiten nach oben, als hätte sie den Himmel auf Erden gefunden, wie Aschenputtel, die in die prächtige Kutsche steigt, welche die Fee aus einem Kürbis gezaubert hat.
    »Ach, die Musik verleiht der Seele Flügel!«, sagt Anna voller Begeisterung.
    Worauf ihre Tochter sich wieder einmal lustig über sie macht, indem sie in abgewandelter Form das Feenlied aus ›Aschenputtel‹ singt: »Salagadula mejigabula bibidibabidibusch! Regnet herab alle Sterne, regnet herab alle Sterne, bibidibabidibu!«
    »Ja, ja, nimm mich ruhig auf den Arm, aber du sollst wissen, dass uns die Märchen helfen, uns in schwierigenSituationen zurechtzufinden«, erwidert ihre Mutter. »Zum Beispiel Hänsel und Gretel, die mit einer List die blinde Hexe täuschen, indem sie ihr statt dem Finger einen kleinen Knochen hinhalten. Oder Dornröschen, das ein verbotenes Zimmer betritt und sich mit der Spindel sticht. Oder Schneewittchen, das so töricht ist, in den giftigen Apfel zu beißen. Oder der Däumling, der mit kleinen Kieselsteinen den Weg markiert.«
    »Und was lernen wir daraus? Dass wir nie ohne kleinen Knochen in der Tasche das Haus verlassen? Oder nie ohne einen Apfel, für den Fall, dass uns ein vergifteter angeboten wird? Oder nie ohne Kieselsteine, damit wir den Weg wiederfinden? Und dass wir uns von Spindeln fernhalten?«

Acht
    M ittlerweile sind Mr. Johnsons Sohn und Enkel aus Mailand eingetroffen. Johnson junior und Johnson junior junior, der sieben Jahre alt ist und Giovannino heißt.
    Giovannino ist ein vorsichtiges Kind, das nicht sofort auf Menschen zugeht. Er ist sehr pünktlich, und wenn man ihn irgendwohin begleiten soll, wartet

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