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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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käuflich erwerben. Die Provinz Nuristan, in der sich dieses Gefecht abspielt, ist von den Alliierten vollends geräumt worden.
    In Kabul versucht Präsident Karzai verzweifelt, einen Waffenstillstand mit den Führern der Aufstandsgruppen zu erreichen. Die Amerikaner verfolgen diese Kontakte mit Argwohn. General Petraeus hatte hier ja eine Strategie nach irakischem Muster einleiten wollen, um vor allem in den Hochburgen der Taleban, in den Provinzen von Helmand und Kandahar, eine solche Stabilisierung zu erreichen, daß man mit der örtlichen Bevölkerung und ihren Stammesführern, ihren Malek, zu ­einem friedlichen Nebeneinander kommt. In Helmand ist dieser Versuch bereist fehlgeschlagen, und die Menschen von Kandahar fürchten sich vor der Rache der allgegenwärtigen Taleban.
    Die Deutschen in Afghanistan. Die ersten Jahre hatte die Bundeswehr wohl wirklich geglaubt, mit Verzicht auf Offensivaktionen, durch Brunnenbohrungen und Schulbau in den Dörfern die dortigen Stämme für sich zu gewinnen. Diese Stunde der Euphorie ist längst verflogen. Allenfalls können sie sich darauf berufen, daß in den Straßen von Kabul Mädchen in Uniform zur Schule gehen. In den meisten Provinzen ist das wohl kaum möglich.
    Die in der Festung Mazar-e-Scharif stationierten Soldaten sind nicht einmal in der Lage, die Blaue Moschee zu besuchen. Vor allem der Stützpunkt Kundus ist zum Brennpunkt der unerwartet im Norden aufgeflammten Kämpfe geworden. Trotz amerikanischen Drängens ist die Aktivität dieser deutschen Militärbasen weiterhin überwiegend defensiv und mutet allzuoft bürokratisch an. Auf den asymmetrischen Krieg war die Bundeswehr nicht vorbereitet. Immerhin sind ein paar vorgeschobene Stellungen außerhalb der Festung Kundus ausgebaut worden. Allzuweit in das unsichere Feindesland hat man sich nicht vorgewagt.
    Auf der Höhe 431
    Beim Besuch der Höhe 431 wird man von den Soldaten mit der Bemerkung begrüßt: »Willkommen im Ersten Weltkrieg«. Mit ihren Schützengräben, Unterständen, schußbereiten Maschinengewehren und Mörsern erinnert dieser befestigte Hügel tatsächlich an den Stellungskrieg von 1914 bis 1918. Obligatorisch trägt jeder Soldat eine kugelsichere Weste von dreizehn Kilo, einen Helm, eine Brille und Handschuhe. Mit dem zusätzlichen Gewicht der Waffen und Munition kommt man auf eine Last von dreißig Kilo, die jeder Kämpfer im Einsatz mit sich schleppen müßte. Die Truppe ist dadurch weitgehend zur Unbeweglichkeit verurteilt.
    Was nun den Kontakt zur Bevölkerung betrifft, deren Herzen und Gemüter man ja gewinnen sollte, »to win hearts and minds«, so wirkt die Situation vollends absurd. Die Bauern bearbeiten ihre Felder, die Kinder spähen neugierig zu den fremden Marsmenschen hoch. Der Dorfälteste, der nur eine schriftliche Beschwerde über die Beschädigung seines Hauses überreichen will, wird auf Distanz gehalten. Er könnte ja Träger einer Selbstmordbombe sein, und wer weiß, ob nicht sogar das eine oder andere Kind zu einer solchen Greueltat fähig wäre. Der alte Mann im weißen Gewand verneigt sich unterdessen zum Gebet nach Mekka. Die gepanzerten Fahrzeuge – Dingo, Luchs, Fuchs, Wolf und wie sie alle heißen mögen – bewegen sich fast im Schrittempo.
    Weit größer als die Gefahr, die von den Kalaschnikows und den Panzerfäusten der Taleban ausgeht, ist die ständige heimtückische Bedrohung durch die Sprengsätze, die bisher die weitaus zahlreichsten Opfer gefordert haben. Diese IEDs, improvised explosive devices, die längst nicht mehr improvisiert, sondern mit großer technischer Perfektionierung funktionieren, bestimmen das Gesicht dieses Krieges im Norden und verurteilen die Patrouillen dazu, wie Schildkröten vorzugehen.
    Wer die vorgeschobenen Stützpunkte aufsucht, die die deutsche Militärbasis Kundus nach Süden hin in Richtung auf die aufsässige Provinz Daghlan abschirmt, gewinnt einen neuen Eindruck von der Strategie, die die amerikanischen Generale Petraeus und auch noch McCrystal entworfen haben. Die Formel lautet »clear and hold«, ein Ausdruck, der übrigens aus Vietnam bekannt ist. »Clear and hold« bedeutet, daß man eine Region erst mal von feindlichen Elementen mit ausreichenden Mitteln freikämpft, und daß man dann durch ständige freundliche Präsenz versucht,

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