Die Welt aus den Fugen
säumten die StraÃen, als wir unseren Weg zwischen Betonwänden suchten und den GroÃayatollah Mudarisi befragten. Eine Aussage ist bei uns haftengeblieben: die gebieterische Forderung, daà die sunnitischen und kurdischen Minderheiten zwar an der Regierung des Irak beteiligt sein sollten, daà aber die letzte Entscheidung in allen staatlichen Angelegenheiten bei einem schiitischen Politiker liegen müsse.
Auch die Stadt Kerbela, die Hochburg des schiitischen Glaubenszweiges und ihres Märtyrerkults ist in eine betonierte Festung verwandelt worden. Zwei Fragen beschäftigen heute hier den Klerus und die Bevölkerung. Da ist der Abzug der Amerikaner, der natürlich von den meisten begrüÃt wird als eine Befreiung von einer fremden und bewaffneten Präsenz. Aber andererseits weià man aus Erfahrung, daà das Ende einer Besatzung meist mit blutigen inneren Wirren verbunden ist. Und manche, gerade im Klerus, fürchten, daà die blutigste Stunde für den Irak noch bevorsteht. Das andere Thema ist der iranische Einfluà hier. Im Westen wird oft gesagt, daà der eigentliche NutznieÃer des Krieges, den George W. Bush auslöste, die Islamische Republik Iran sei. Hier ist das nicht ganz so sicher, denn es gibt doch erhebliche Unterschiede zwischen der Mentalität und sogar in der theologischen Ausdeutung seitens der arabischen Schiiten des Irak und der persischen Schiiten des Iran. So kompliziert ist der Orient.
Die verheerenden Bombenanschläge und Meuchelmorde haben in letzter Zeit wieder zugenommen, auch wenn sich die verbleibenden amerikanischen Soldaten meist in ihren Quartieren verschanzt halten. Wer durch die betonierten StraÃen von Bagdad fährt und die unerträgliche Spannung spürt, die über der Bevölkerung lastet, kann der Erfolgspropaganda, die aus Washington immer wieder herübertönt, keinen Glauben schenken. Es war wohl ein Fehler Präsident Obamas, Afghanistan die Priorität vor dem Irak einzuräumen.
Mit gemischten Gefühlen kann man nur jene GIs betrachten, die bei ihrem Abzug über Kuweit grinsend behaupteten, sie hätten den Krieg gewonnen. Da tauchen dann wirklich Erinnerungen an die Räumung Südvietnams durch das Gros der amerikanischen Armee im Jahr 1973 auf. Auch wenn der Abmarsch aus Mesopotamien sich noch nicht zu der Forderung der Heimat vollzieht: Bring the boys home.
Den Medien zufolge hängt in Zukunft alles von Afghanistan ab. Deshalb sollte man einen Rückblick auf die vergangenen dreiÃig Jahre vornehmen, so wie ich sie selbst erlebt habe.
Als ich im Jahr 1981 die Mujahidin der Hezb-e-Islami in ihrem Feldzug gegen die Sowjetunion begleitete, riefen sie nicht nur »Allahu Akbar«, sondern ebenfalls »markbar Amrika«, »Tod den Amerikanern«. Eine absurde Kampfansage, so schien es, zu einem Zeitpunkt, als diese Gotteskrieger vom Pentagon und der CIA über Saudi-Arabien und Pakistan mit Geld und Waffen versorgt wurden. Der grundlegende Fehler der amerikanischen Orientpolitik war wohl von Anfang an die Vermutung, daà ein Gegner der Sowjetunion ein Freund Amerikas sein müsse. »La gharbi, la sharki, islami« â »weder Ost noch West, sondern nur der Islam«, so sangen damals meine Gefährten.
Eine Armee von Tagelöhnern
Heute setzt die westliche Allianz ihre Hoffnungen auf die afghanische Nationalarmee und den Ausbau einer Polizei, der niemand über den Weg traut. Aber auch in Gesprächen mit den Offizieren der Nationalarmee spürt man die Vorbehalte, als Tagelöhner der Ungläubigen gegen die eigenen Landsleute eingesetzt zu werden. Noch wird vom Kommando von ISAF die Behauptung aufrechterhalten, die nebulöse Organisation El Qaida fände ihr Refugium am Hindukusch. Längst haben sich jedoch die Schwerpunkte dieser zersplitterten Terroristenorganisation nach Pakistan, nach Jemen oder Somalia verlagert.
Der Faktor Islam wird immer noch falsch eingeschätzt. Erkennbar wird er in den verzückten Gesichtern der Betenden, wenn sie sich am Freitag zur Khutba versammeln. Für sie ist die Präsenz bewaffneter Ungläubiger auf islamischem Gebiet ein unerträglicher Verstoà gegen die Gesetze Allahs. Allen Dementis zum Trotz: Die Situation der westlichen Allianz verschlechtert sich von Woche zu Woche. Ohne Probleme kann man Bilder von Angriffen der Taleban â hier der Hezb-e-Islami â auf afghanische Regierungsstützpunkte
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